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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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vermehrt, oder ein Mangel an Serotonin oder eine verstopfte Ader oder sonst etwas, und das vollkommene Wissen ist versaut? Vielleicht wird sein Zustand mit jeder Minute schlechter, vielleicht wird die widerspenstige Zelle immer wilder, das Serotoninniveau sinkt, und ich riskiere das Blut meines Mannes, statt alles stehen und liegen zu lassen und loszufliegen, um ihn zu retten.
    Das Handy klingelte, und die Bäume bewegten sich, Vögel raschelten, und Nadav fragte: »Mama, wann kommst du und holst mich ab?« Das bläuliche Glühwürmchen des Telefons leuchtete und leuchtete, die zerbrechenden Nadeln unter den Sohlen weckten die Sinne der Waldbewohner. Der Junge. Wie hatte ich ihn vergessen können. Die Dunkelheit, die ihm aus Kims Fenster entgegensah, war ihm neu und fremd, sah ganz anders aus als die Dunkelheit in unseren Fenstern, man musste bei ihm sein, während er sich an die neue Dunkelheit gewöhnte. Ich rannte, so lange ich konnte.
    Er war aufgeregt von all dem Neuen, das seine Augen im Haus seines neuen Freundes gesehen hatten, weißt du, sie haben eine Fernbedienung für das Garagentor, und sie haben so einen großen Fernseher, nein, so, er streckte die Arme aus, ohne die Größe zu erreichen, größer als das Wohnzimmerfenster, glaubst du das? Und ihre Rollläden sind elektrisch, und sie haben eine Warnanlage gegen Diebe und zwei Boxer, einen im Haus und einen im Hof. Und Kim hat vielleicht tausend Playmobilteile. Und zwei Brüder.
    »Und ich habe dich.« Ich deckte ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
    »Und du hast Papa.« Er schloss die Augen und schlief ein.Ich ging hinaus, um Wäsche aufzuhängen, nachts sahen die kleinen Unterhosen auf der Leine traurig aus, der Mond machte sie blass, und der Wind brachte sie zum Zittern. Alles wird gut, sagte ich zu den Klammern, die ein Unterhemd kniffen, alles wird gut, er hat sich ausdrücklich ein bisschen Zeit vom Lärm der Stadt ausbedungen, da dürfen Frau und Kind nicht zu Fesseln an seinen Füßen werden. Er ist nicht krank, er ist nur müde, es wird alles gut, du kennst ihn doch, er ist vernünftig, er ist verantwortungsbewusst, er ist seelisch gesund, er wird wieder morgens zur Arbeit gehen und abends zurückkommen, er wird seine Robe zur Reinigung bringen und wieder abholen. Ein Helikopter flog über uns, westwärts, Richtung Krankenhaus, eine knatternde Mahnung an Geschichten, die schlecht ausgehen, jemand hat eine Kugel in den Kopf bekommen, jemand hat sich eine Kugel in den Rachen geschossen, ist von einem Dach gesprungen …
    »Waren Sie das, die diesen Scheißaraber hergeschickt hat?« Die Worte kamen aus dem Fenster des Alten.
    »Sie werden ihn nicht Scheißaraber nennen, ist das klar?« Meine gereizten Nerven reagierten auf die Gelegenheit, die sich ihnen bot, und die Sicherung flog raus.
    »Sie werden frech. Haben Sie eine Ahnung, wie alt ich bin?«
    »Das interessiert mich nicht. Auch wenn Sie hundert wären, dürften Sie ihn nicht beleidigen. Entschuldigung, mein Telefon klingelt.« Ich drehte ihm den Rücken zu und drückte das Handy an mein Ohr.
    »Es geht um die Wohnung, ist das Angebot noch aktuell?«
    Ich erkannte ihn sofort. »Nicht für dich«, sagte ich gereizt.
    »Einen Moment, gibt es keine Begrüßung?« Scha’ul Harnoi lachte und sagte, noch immer lachend, sein Vertrag inder Feigenstraße 9 gehe zu Ende, er habe die Anzeige in der Zeitung gesehen und die Telefonnummer erkannt, deshalb habe er gedacht, es sei überhaupt keine schlechte Idee, schließlich würden sich beide Seiten kennen, man könne schnell zu einem Abschluss kommen, sind deine Haare übrigens schon ein bisschen gewachsen? Das männliche Lachen, das früher mein Herz erzittern ließ, hörte sich jetzt an wie Regen auf Blech, aber wenn man das Lachen von heute und von damals außer Betracht ließ, warum sollte ich nicht an ihn vermieten? Er ist anständig, er wird pünktlich bezahlen, er ist ordentlich und sauber, er wird den Vorhang aufziehen, wenn die Sonne die Anrichte erreicht, er wird das Klobecken entkalken, und er wird die Dichtung an den Wasserhähnen erneuern. Ich werde ihm den Schlüssel geben und ihn dann nicht mehr sehen, die Miete geht auf unser Konto … und wenn der Abfluss überläuft …
    »Es tut mir leid, Scha’ul, nein.« Das hat mir noch gefehlt, künstlicher Regen und Trommeln auf Blech, soll doch dieser Sommer zu Ende gehen, mit Blausternen und allem, mit Dornen und allen anderen banalen Anzeichen der vergänglichen Zeit, und

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