Wodka und Brot (German Edition)
fern und anziehend vor, und ich wusste nicht, wohin ich meine Sehnsucht richten sollte, deshalb rief ich: »He, Kinder, wollt ihr ein Eis?«
Roter, süßer und tropfender Lärm eroberte die Küche, ich könnte ein ganzes Eis auf einmal verschlingen, na und, ich auch, Mama, gibt es mehr? Kriegen wir zwei? Wodka hörte es und kam angerannt, sprang auf die Eistropfen, die die Münder verfehlten, und vergrößerte den Lärm noch. Maja-Mirjam war fasziniert von dem lebendigen Gewühl, das sich in unserer Zwei-mal-zwei-Meter-Küche zusammendrängte, hätte ich eine so geräumige und gut ausgestattete Küche wie sie, hätte es viel mehr Platz zwischen den Feiernden gegeben, und die Feier hätte sich in Luft aufgelöst.
»Und was machst du?«, fragte sie, nachdem die Kinder wieder im Zimmer verschwunden waren, um zu sprengen und zu erobern.
»Ich habe ein kleines Lebensmittelgeschäft.«
»Bei dir ist alles klein und einfach, deshalb siehst du so gut aus. Wir haben einen großen Porzellanbetrieb, Keramik und das alles, und je größer die Firma wird, umso mehr Kopfschmerzen macht sie.«
Ich schluckte das flüssig gewordene Eis und erzählte ihr nicht, welche Migräneanfälle das einfache Leben hervorrufen kann.
Sie war so offen und aufrichtig wie ihre Hände und ich nicht, ich begnügte mich mit einer Fischfarm, mit einem kleinen Lebensmittelgeschäft, mit der Darstellung eines bescheidenen, sympathischen Lebens. Wo blieben die Gerichtsroben und das Diplom in Betriebswirtschaft, wo die Schulden und die Migräne und das »Ich kann nicht mehr, Amiki«, und wo blieb der seltsame Mensch, dem wir die Wohnung vermietet hatten, ich schämte mich und suchtenach ein paar Worten, um den Eindruck ins rechte Licht zu rücken. »Na ja, du weißt doch, nichts ist so, wie es von außen aussieht.«
»Du hast recht. Wer Herrn Levis Villa sieht, deines Vermieters, denkt, wer weiß, was für glückliche Leute dort wohnen, die Wände, der Verputz und das rote Dach lügen.«
Ich feuerte sie nicht zum Reden an, die Worte kamen einfach aus ihr heraus. »Weißt du, früher war er normal, ganz normal, auch seine Frau und sein Sohn und Schoschana, eine gute Familie.«
»Er hat einen Sohn?«
»Klar, und was für einen Sohn. Aber nach dem Unglück ist alles zerfallen, keine Familie, keine Frau, kein Sohn, kein Gott, nichts.« Sie hatte ihre hochhackigen Sandalen ausgezogen und ihre nackten Füße daraufgestellt.
Ich fragte nichts und erhob mich, um Wasser für eine zweite Runde Kaffee zu kochen.
»Hörst du, Amos, sein Sohn … Hast du Süßstoff? Kurz gesagt, Amos ist vier Jahre älter als ich, er war der King bei uns in der Schule … Amos Levi, jahrelang, die ganze Zeit im Gymnasium, war ich in ihn verliebt, und nicht nur ich, aber er beachtete mich nicht, beim Militär hat er eine Frau kennengelernt, eine gewisse Orna, und sie geheiratet. Was für ein Mann … Aber seit dem Unfall hat man ihn hier nicht mehr gesehen. Er hat den Ort nicht mehr betreten, an dem er seinen Jungen verloren hat, sein einziges Kind, verstehst du, es hat Jahre gedauert, bis Orna schwanger wurde, man hat sie mit Hormonen vollgestopft, Spritzen, Behandlungen, am Schluss hat man ihnen eine Befruchtung im Reagenzglas gemacht, das hat dann geklappt, und das ganze Dorf hat ihre Schwangerschaft gefeiert. Entschuldige, kann ich noch ein bisschen Milch haben?« Maja-Mirjam rührtedie Milch in den Kaffee, legte die Hände um die Tasse und starrte hinein, als läse sie darin die Geschichte der Familie Levi.
»Weißt du, es hat hier Leute gegeben, die haben aufgehört, an Gott zu glauben, nach allem, was geschah, denn so einen Jungen gibt es nicht noch mal, er war fünf, wie mein Kim, und so gescheit, ein Genie, und schön wie aus der Werbung, erstaunlich, wirklich erstaunlich … Wenn er an einer Krankheit gestorben wäre, hätte man gesagt, gut, Schicksal, vom Himmel, aber dass er so sterben musste?« Sie umschloss die Tasse noch fester, ihr Kopf bewegte sich hin und her, nein, nein, nein, um die Geschichte der Familie Levi und die Ungerechtigkeit von Katastrophen zu demonstrieren.
Die Kinder kamen aufgeregt in die Küche, Mama, gibt es Cola? Mama, weißt du, dass Kim einen Drachen mit Fernlenkung hat? An Schabbat besuchen wir sie, er wird ihn mit seinem Papa fliegen lassen … Sie tranken, wuschen sich das Gesicht am Wasserhahn in der Küche, schüttelten ihre nass gewordenen Haare, spritzten die Anrichte voll und rannten wieder ins Zimmer, nur Wodka blieb bei
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