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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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sie mich so anschaute, mein Ausschnitt war angemessen, ich hatte keinen Riss im Rock oder sonst etwas Auffälliges, ich nahm an, dass sie etwas wusste, was ich nicht wusste.
    »Neben dem Fenster«, rief sie mir nach, damit ich in der Dunkelheit kein fremdes Gesicht oder fremde Gliedmaßen berührte. Schwerer, als es meinem Gewicht entsprach, betrat ich Zimmer acht, tastete mir einen Weg durch die stickige Luft zwischen den eng stehenden Paravents, durch schwere Atemzüge und flackernde Geräte, bis ich das Bett neben dem Fenster erreichte. Der Mann im Bett war nicht meiner. Er schlief, und im Gegensatz zu seinem Nachbarn atmete er ruhig. Der Mond, der mir gestern auf dem Friedhof ein bisschen geleuchtet hatte, stand hoch überdem Krankenhaus und schickte einen dünnen Strahl zu dem durchsichtigen Schlauch, durch den eine Flüssigkeit in seine Adern tropfte, sein Gesicht lag in der Dämmerung, seine Wange und sein Kinn waren auf das Kissen gedrückt. Ich stand vor seinem Bett, wollte seine Faust öffnen und seine Finger befreien, damit die Flüssigkeit frei durch seine Adern fließen konnte und nicht in den zusammengedrückten Venen stockte. Wer konnte mir etwas sagen, er schlief, die Schwester war nicht da, und wenn etwas passierte, lag die Verantwortung bei ihr, sie war es, die mir die falsche Auskunft gegeben hatte, sie war verpflichtet, die Kranken gegen das Eindringen von Fremden zu schützen, und dass ich mich hier bei dem Fremden aufhielt, war nur dazu gut, um Luft zu holen für das Treffen mit Gideon, der vielleicht im Zimmer neun oder vier lag, bewusstlos oder nicht. Ich werde sanft die geballte Faust berühren, die auf der Decke liegt, die zarte Berührung wird vom Gehirn registriert werden, die Handmuskeln werden reagieren und sich entspannen. Doch andererseits wäre dieser Mann hier nicht in die Neurologie eingeliefert worden, wenn er nicht eine Störung des Gehirns hätte, ich kann nicht wissen, was eine leichte Berührung bei ihm auslöst, ob seine Nerven nicht vielleicht krankhaft reagieren und welchen Auftrag sie den Muskeln geben und was dann für ein Durcheinander entsteht. Ich konnte dem Wunsch nicht widerstehen, meine Hand löste sich von dem Riemen meiner Schultertasche, näherte sich der geballten Faust und spürte die Härchen, die sich aufrichteten, ich erstarrte, bevor meine Hand auf seiner lag.
    »He, was machst du hier?«
    Die Stimme war Gideons Stimme, der Tonfall fremd, gleichgültig und schwach. Meine Hand sank fest auf seineFaust und umschloss sie von oben, dann kam die zweite Hand von unten.
    »Du bist bei Bewusstsein.« Ich lachte erschrocken.
    »Soviel ich weiß, ja.« Seine Stimme klang, als sei er die ganze Zeit wach gewesen und habe mich beobachtet. Ich zog den Vorhang zurück, um das schwache Mondlicht hereindringen und auf sein Gesicht fallen zu lassen, um mir zu beweisen, dass dies mein Gideon war. Der Mond hatte sich schon entfernt, aber die helle Nacht des Negev erfüllte das Fenster, zeigte seine blassen Formen, die eingefallenen Wangen, das länger gewordene Gesicht, das spitze Kinn, den geschrumpften Hals.
    »Was ist passiert, warum hat man dich hierhergebracht?« Ich konnte meine Stimme nicht beherrschen, sie kam zu aufgeregt aus meinem Mund.
    »Sie haben gedacht, dass ich versucht habe zu sterben, aber ich wollte nur schlafen.«
    Ich brachte meinen Mund zu seiner armseligen Faust, ich biss hinein, küsste sie, er sagte, er habe viele Nächte hintereinander nicht geschlafen und dieses ständige Wachsein habe ihn ganz verrückt gemacht, er habe dagelegen und Schäfchen gezählt, Sterne, er sei aufgestanden und habe Kognak getrunken, er sei durch die Straßen gelaufen, habe sich bis zum Umfallen ermüdet, aber sein Gehirn habe auf »play« gestanden, habe weitergearbeitet, es sei unmöglich gewesen, zu stoppen. Er habe gedacht, Schlaftabletten würden etwas ändern, würden ihm Stunden des Schlafs bescheren und er würde aufstehen und sich wie neu fühlen. Nein, er wusste nicht, wie viele er geschluckt hatte, er erinnerte sich nicht, und sie hatten es ihm nicht gesagt, gut, sie glaubten ihm nicht, sie gingen von einem Selbstmordversuch aus, und er hatte sich nicht bemüht, ihren Fehlerzu korrigieren. Sie sind ein intelligenter Mann, sagten sie, haben Sie nicht gewusst, dass man davon sterben kann? Ich habe nichts gewusst, antwortete er, verstehen Sie doch, ich hatte ein paar Nächte lang nicht geschlafen, ich war vollkommen erledigt, ich wäre bereit gewesen, einen Elefanten

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