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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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zu schlucken, nur um zu schlafen. »So war’s, deshalb bin ich hier.«
    Seine Sprechweise war leise und flach, als läse er die Gebrauchsanweisung für einen Mixer vor oder eine Zeitungsanzeige. Ich drückte seine Faust an meine Brust, ich küsste ihn auf die Stirn, ich hätte mich am liebsten zu ihm ins Bett gelegt und die Decke über uns beide gezogen, damit wir schlafen und wie neu aufstehen könnten.
    »Du glaubst mir auch nicht«, sagte er trocken und zog seine Hand zurück. Im Nachbarbett, auf der anderen Seite des Paravents, wälzte sich jemand herum und sagte »ach, Mama« zum Laken und drehte sich wieder um. Ich knöpfte seine Pyjamajacke auf, schob meine Hände hinein, streichelte seine Schultern und spürte, wie wenig Fleisch er auf den Knochen hatte.
    »Merke dir, dass ich zu dir halte. Hast du gehört? Egal, was passiert, ich halte zu dir.«
    »Was das betrifft, hältst du zu ihnen.« Seine Schultern ergaben sich mir nicht, sie wichen nicht zurück, sie hatten ihn mit Beruhigungsmitteln abgefüllt, sie hatten seinen Motor ausgemacht, sie hatten Lust und Zorn in ihm ausgeschaltet. Ich schüttelte ihn. »Versteh doch, ich halte zu dir, was spielt es für eine Rolle, was ich glaube, wir sind zusammen«, flehte ich, und der Mann im Bett nebenan murmelte, »was ist das hier, was ist das hier?«
    »Nun, und was ist jetzt, warum behalten sie dich hier?« Ich massierte seine Arme, seinen Hals, fuhr mit den Händenzwischen seine Schulterblätter – mit aller Kraft wollte ich ihn in Bewegung bringen, den Lebensfunken in ihm anfachen. Sollte er weinen, mich schlagen, beißen, fluchen, brutal mit mir schlafen, nur nicht so stumpfsinnig sein, nur um Gottes willen nicht diese Apathie. Vielleicht hatten sie in ihm jedes Gefühl abgetötet, damit er nichts mehr spürte, weder Freude noch Verzweiflung, damit er keinen weiteren Selbstmordversuch unternahm, das ist alles egal, hatten sie gesagt, Hauptsache, er bleibt am Leben, sie hatten den ärztlichen Schwur geschworen, sie hatten sich verpflichtet, den Menschen am Leben zu erhalten. Wie? Wozu? Darauf sollten Philosophen und Ethiker und Moralisten antworten. Mit jedem Moment hasste ich sie mehr, und zugleich glaubte ich ihrem Misstrauen mehr und mehr.
    »Ich möchte schlafen, Amiki, entschuldige.« Trocken und sauber wie ein abgenagter Knochen war sein Amiki, distanziert und von kalter Höflichkeit, und erinnerte an sein früheres Verhalten bei Gericht.
    »Du hast überhaupt nicht nach dem Jungen gefragt.« Ich nahm meine Hand von ihm, und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich auch meine Worte zurückgenommen. Der Mann ist krank, es geht jetzt nicht um den Jungen, lass ihn doch, er hat dir gesagt, dass er todmüde ist. Ich stellte mich ans Fenster, drehte das Gesicht zur Nacht, die sich zwischen den lang gestreckten Klinikgebäuden räkelte. Da und dort waren Gestalten zu sehen, die sich auf die Fensterbank stützten und sich hinausbeugten, genau wie ich, die in die Nacht starrten und auf den Morgen warteten.
    »Morgen, Amiki, morgen …« Seine Stimme erlosch, versank im Schlaf, sein Atem ging ruhig und tief.
    Was ist morgen, wirst du dich morgen nach dem Jungen erkundigen? Wirst du wieder zu dir kommen? Wirst du dichdafür interessieren, wie es mir geht? Wirst du dich daran erinnern, wie viele Tabletten du geschluckt hast und warum? Warum hatte mich diese Lebensform, die er gesucht hatte, nicht misstrauisch gemacht, warum war ich nicht darauf gekommen, dass sie der Anfang von etwas Schlimmem war. Warum hatte ich wegen der seltsamen Art, wie er seine schwarze Robe behandelte, keinen Verdacht geschöpft, er hatte sie so heftig geschüttelt, dass sie Falten schlug, und damit Vögel vom Balkon verjagt, er hatte sie gründlich gebürstet und keine Naht ausgelassen, er hatte sie ganz genau zusammengefaltet, sie wie zu einer ehrenvollen Beerdigung vorbereitet und dann in die Schublade gelegt. Wieso war mir seine mangelnde Konzentration nicht aufgefallen, seine Vergesslichkeit, wieso …
    »Im Vorratsraum gibt es Decken und Laken, Sie können sich etwas holen«, sagte die Schwester, die kam, um die Dosierung der Infusion zu regulieren. Sie sprach mit einer Stimme, als wäre es mitten am Tag, als hätten die neurologischen Patienten einen Trank bekommen, der sie vor jedem Lärm abschirmte. Ich verließ hinter ihr den Raum und packte sie im Flur am Ärmel. »Sagen Sie mir, was hat er?«
    »Medizinische Informationen gibt nur der Arzt.«
    »Und was lassen Sie in seine Adern

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