Wodka und Brot (German Edition)
wurde von der Haut nicht aufgesaugt und weckte ihn nicht, er wachte auch nicht auf, als ich seine Faust löste und meine Finger in seine verschränkte. Gut, dass sein Kopf nicht auf »play« eingestellt war und er Schlaf nachholte, gut, dass Flüssigkeit in seinen Körper bis zum Gehirn tropfte und ihn von der roten Linie fernhielt, gut, dass sein Bett neben dem Fenster stand und er, wenn es Morgen wurde, den neuen Tag als Erster sehen würde.
Nadav fragte, ob sein Vater gestorben sei, ich sagte, wieso denn, um Gottes willen, er braucht nur ein bisschen Schlaf. Maja-Mirjam sagte, wie leicht doch ein Mensch austrocknet, unser Sommer ist gefährlich, zwölf Gläser Wasser am Tag, das ist das Mindeste, was man trinken muss. Kim sagte, ich habe deinen Vater noch nie gesehen, vielleicht hast du überhaupt keinen. Ich bedankte mich bei Maja-Mirjam und sie sagte, gern geschehen, er ist so ein bequemes Kind, bring ihn ruhig vorbei, wann immer es nötig ist.
Ich brachte Nadav zum Kindergarten für Kinder, deren Eltern auch in den beiden Ferienwochen im Augustniemanden zum Aufpassen für sie hatten. Ich sagte, ich würde mit ihm in den Zoo gehen und ihm ein Eis kaufen und im Zooladen auch ein Plastiktier, aber heute müsse ich den Playknopf ausschalten und schlafen, Amjad war im Laden, und wenn Madonna sich den Kopf nicht mit Wodka vernebelt hatte, war sie früher aufgestanden, und sie würden zusammen die Zeitungen ordnen, ich könnte die Rollläden herunterlassen, das ganze Haus verdunkeln und nachholen, was ich in der Nacht versäumt hatte. Ich stellte den Wecker, damit er mich mittags weckte, zu der Zeit, zu der die Neurologen den Familien antworteten, bis dahin konnte ich ganz ruhig sein, falls die Welt weiter ihre Bahnen zog und die Kontinentalplatten nicht aneinanderstießen, ich konnte die Tür abschließen, Zähne putzen, mich ausziehen, die Rollläden herunterlassen, das Telefon abstellen, nein, nicht abstellen, es musste bereit sein für irgendwelche Katastrophen, die möglicherweise vom Krankenhaus im Süden mitgeteilt würden, oder vom Laden oder dem Kindergarten hier weiter nördlich. Der Mensch kann sich der Schwerkraft seiner Lieben nicht entziehen, auch wenn er es möchte. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Hälfte der Menschheit den ersten Kaffee trank, hob ich meine Beine ins Bett und streckte mich aus, und als ich endlich eine passende Kuhle für meinen Kopf gefunden hatte, blinkte der Nachrichtenmelder am Handy. Ich machte mir keine Sorgen, Katastrophen werden nicht per SMS mitgeteilt, niemand wird dir simsen, dass jemand gestorben ist oder Prügel bekommen hat. Die Nachricht konnte von der Bank kommen, oder es handelte sich um eine Werbeaktion der Telefongesellschaft, oder es war ein Rabattangebot von Superpharm. Hab keine Angst, lies die Nachricht, lösche sie, geh schlafen. Andererseits, warumsollte ich mich dieser Technologie unterwerfen und immer erreichbar sein, was war schlecht an der Stille, bevor sie die elektronischen Heuschrecken erfunden haben. Ich zog mir die Sommerdecke über den Kopf, um eine Trennung zwischen mir und der geschäftigen Welt herzustellen und endlich zu schlafen. Wenn etwas Schlimmes passiert, werden die Türpfosten beben, und die Bewegung wird mich wach rütteln. Ich schloss die Augen, aber die Nachricht blinkte in meinem Unterbewusstsein weiter wie ein Flugzeug, das seine Landung ankündigt. Ich trat die Decke von mir, ich werde die Nachricht lesen und löschen, Schluss damit, ich nahm den Apparat vom Nachttisch und legte ihn sofort wütend wieder zurück, nein. Telefonanbieter und Superpharm oder andere elektronische Büros sollten nicht in mein Leben eindringen. Wieder zog ich mir die Decke über den Kopf, schloss die Augen und murmelte mein Mantra zur Entspannung, vom Meditations-Workshop, let’s go, let’s go … Aber das Flackern des runden Auges hörte nicht auf. Ich gab nach. Du kannst sie nicht besiegen, befreunde dich mit ihnen. »Ich brauche Ihre Hilfe. Amos«, stand auf dem Display.
Amos? Amos? Wer war Amos? Amos! An was ich mich erinnerte, war eine Wirbelsäule, die einen Schlag vom Leben bekommen hatte und erstarrt war. Sein Gesicht hatte ich nicht wirklich gesehen, auch seine Hände nicht, und jetzt würde ich auf jeden Fall schlafen, was konnte er von mir wollen? Dass ich den Staub vom Grab fegte? Dass ich den Grabstein mit Wasser kühlte? Er hatte seine Angelegenheit mit dem Leben hier erledigt, und die Angelegenheit der Toten konnte warten. Ich machte das
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