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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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hätte.
    »Man sieht, dass jede Blüte einzeln ausgesucht ist«, sagte ich. »Die Rosen stehen aufrecht im Wasser, sie öffnen sich nicht, sie sehen aus, als würden sie mit geschlossenen Knospen verwelken.«
    »Ja, sie versteht es, auszusuchen«, sagte er und wollte gar nicht wissen, wann die Rosen vermutlich verwelken würden.
    »Ihr Vater hat eine Telefonnummer hiergelassen, er möchte wohl, dass jemand sie benutzt, ganz bestimmt nicht sein Enkel …«
    Plötzlich musste ich weinen, der Sinn des Lebens steckte in den leeren Schuppen des Kiefernzapfens, den der Alte auf das Grab gelegt hatte. Er war kleiner als eine Faust, dieser Kiefernzapfen, und sein Sinn passte leicht in seinen Hohlraum. Das war’s. Das war der ganze Sinn des Lebens,ein Kiefernzapfen, eine Faust, Samenkörner, die vom Wind davongetragen werden, und Brot und Wein und eine Blase am großen Zeh und eine Blase für Urin, alles hat seinen Moment, der ihm Sinn verleiht, und wer einen grundsätzlichen Sinn sucht, der für alles gilt, soll suchen.
    »Was den Alten betrifft, habe ich noch eine Bitte.«
    Ich schwieg und verschluckte die Reste des Weinens.
    »Hallo, sind Sie noch da?«
    Wind pfiff in seine Worte. Er lebte ja auf irgendeinem Bergrücken im Norden, dort bliesen kräftige Winde und beeinflussten die kalten Gemüter der Menschen.
    »Ja, ich bin da«, sagte ich und setzte mich auf das Grab wie eine trauernde Mutter, zwei Reihen von mir entfernt beschnitt ein Friedhofsarbeiter ein Zierspargelgestrüpp. Er bemerkte mich, hielt inne, schien zu denken, was hat die bei dem verloren, ich kenne hier doch alle Toten und ihre lebenden Verwandten, er schaute mich an, dann bewegte er wieder die Schere und setzte seine Arbeit fort.
    »Was ist mit dem Alten?«, rutschte es mir schließlich heraus, und der Arbeiter drehte den Kopf zu mir, dann wandte er sich schnell wieder dem Zierspargel zu.
    »Die Schuhe von meinem Sohn. Ich will sie haben.«
    »Dann müssen Sie mit ihm reden, was habe ich damit zu tun?« Ich zog eine gelbliche Rose aus der Vase und erschrak, man hatte sie einem Toten gebracht, nicht mir. Ich verstand nicht, warum ich den Launen eines Fremden, mit dem ich nichts zu tun hatte, gestattet hatte, mich mitten am Tag zum Friedhof zu schicken.
    Ich erhob mich von dem Stein. »Hören Sie, das geht mich nichts an.«
    »Wenn ich mit ihm spreche, wird er auf stur schalten.« Seine Stimme wurde vom Wind zerrieben, er hob sie undsagte, nur ein Fremder könne seinem Vater die Schuhe abluchsen, und auch das sei zweifelhaft, aber er wolle diese Schuhe unbedingt bekommen, egal wie, wenn nicht im Guten, dann im Bösen. »Sie sind die Einzige, die mit ihm sprechen kann, außer Schoschana, meiner Schwester, aber für Schoschana ist es schon schwer genug, auch ohne das.«
    »Einen Moment, und mir ist es nicht schwer? Was wissen Sie überhaupt von mir?«
    Die Schere hörte auf, sich zu öffnen und zu schließen, der Arbeiter sagte: »Ein bisschen mehr Ehre, bitte, ein Friedhof ist kein Platz zum Streiten.« Er hatte recht, die hier lagen, hatten ihre Streitereien schon beendet, sie hatten sich zurückgezogen. Ich schämte mich, ich bedeutete ihm mit der Hand, dass er recht hatte und ich mich entschuldigte.
    »Ich weiß wirklich nichts über Sie«, sagte der Sohn des Alten.
    Ich machte das Telefon aus, wegen der Ehre des toten Jungen und wegen des lebenden Arbeiters, verließ den Friedhof und machte das Telefon wieder an, aber dieser Amos war schon nicht mehr da, vielleicht war er von dort auf dem Bergrücken in ein Café gegangen und überlegte bereits, wie er sich die Schuhe seines Sohnes aus der Festung seines Vaters beschaffen konnte. Fünf Jahre hatte er mit dem Jungen gelebt und zehn Jahre ohne ihn, und jetzt war er in der Stimmung, dass ihm alles egal war, und danach kam der Wahnsinn, und dann war der Himmel die Grenze, wie man so sagt. Er trinkt Kaffee und plant den Angriff auf die Schuhe, er nimmt eine der Papierservietten und notiert die Zufahrten, die Tarnungsmittel, die Fluchtwege …
    »Es wird alles gut«, sagte ich, ohne zu wissen, warum und zu wem, und ging den Feldweg hinauf zum Dorf.Mein Bruder Jonathan und seine Frau kamen überraschenderweise im Laden vorbei. Er war noch keine dreißig und hatte schon einzelne graue Haare, ihre schweren, honigfarbenen Haare waren von einem Kopftuch bedeckt.
    Sie betrachteten Madonna und fragten im Chor, wer ist das?
    »Ich arbeite hier. Und wer seid ihr?«, antwortete Madonna von einer Leiter herab und

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