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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Nacht soll dort oben jemand erschossen worden sein. In der
Lehmhütte soll eine Leiche gelegen haben.«
    Kälte kroch in mir hoch. »Wessen
Leiche?«
    »Ich habe sie natürlich nicht gesehen.
Aber es soll ein Anglo gewesen sein.«
    »Wie sah dieser Anglo aus?«
    »Ich habe die Leiche nicht gesehen.«
    »Was ist mit ihr passiert?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist
nicht mehr da.«
    »Hat die Polizei sie fortgeschafft?«
    Erneutes Schulterzucken.
    »Ich frage Sie noch einmal, Salazar: Wie
sah der Mann aus?« Meine Stimme zitterte jetzt vor Wut.
    Leise und schnell sagte Abrego etwas
auf spanisch. Ich verstand kein Wort, aber Salazar wurde blaß um die Lippen.
Bevor er weitersprach, sah er Luis lange mit hartem Blick an. »Ich habe gehört,
daß der Mann groß und dünn war. Seine Haare waren weder blond noch dunkel. Er
trug einen Schnurrbart und hatte ein Gesicht wie ein Falke.«
    Die Kälte hatte meine Knochen erreicht.
»Sonst noch etwas?« Salazar beobachtete mich genau. Wie ein Raubtier suchte er
nach einem Zeichen der Schwäche bei seiner Beute. Er hörte es in meiner Stimme
und las es in meinem Gesicht. »Da war ein Ring.«
    »Was für einer?«
    »Aus schwerem Gold mit einem blauen
Stein, der einen Vogel darstellte.«
    Hys Ring — der mit dem Stein in Form
einer Möwe, die zu dem Vogel auf der Citabria paßte.
    Für einen Moment schien mich eine
extreme Kälte in mir gegen alles abzuschirmen. Geräusche drangen nur gedämpft
zu mir durch, Farben verblaßten, Gesichter, Palmen und Lichter verschwammen.
Dann hörte ich mein Herz klopfen — kräftig und gleichmäßig. Merkwürdig, daß es
weiterschlagen konnte, wo alles doch zusammengebrochen war...
    »Sharon?« sagten John und Luis wie aus
einem Mund. John faßte nach mir. Ich schob seine Hand weg.
    Jetzt wurde wieder alles scharf — hart,
hell und scharf umrissen. Salazars wissende Augen beobachteten mich. Seine
Lippen waren zu einem grausamen Lächeln verzogen.
    »Sie haben ihn umgebracht«, sagte ich.
»Sie haben ihn umgebracht und haben sich seiner Leiche entledigt.«
    Er lächelte noch immer und breitete die
Arme zur Beteuerung seiner Unschuld aus.
    Ich grub die Finger in meine Schenkel
bis zur Schmerzgrenze und biß mir auf die Lippen, bis sie bluteten. Ich bemühte
mich, meinen Zorn unter Kontrolle zu bringen. Es könnte tödlich sein, ihm jetzt
freien Lauf zu lassen. Salazars Leibwächter war nicht weit weg. Und ich hatte
an mehr zu denken als nur an mein eigenes Leben.
    Kurz darauf stand ich auf und ging
einen Schritt auf Salazar zu. Jaime kam näher und blieb stehen, als auch ich
stehenblieb.
    »Was ist mit seiner Leiche passiert,
Salazar?« fragte ich.
    Er zuckte mit den Schultern, lächelte
noch immer.
    Luis und John standen gleichzeitig auf
und postierten sich rechts und links von mir. Luis faßte mich am Ellbogen und
hielt mich zurück.
    Sehr leise sagte ich zu Salazar: »Ich
weiß, daß Sie ihn umgebracht haben, und ich werde es beweisen. Und dann mache
ich Sie fertig. Denken Sie daran.«
    Salazars Gesichtsausdruck war
unverändert. Der Leibwächter stand regungslos da, und Luis und John schienen
wie erstarrt.
    Ich entzog meinen Ellbogen Luis’ Griff
und rannte aus dem Palmenkreis zur Gittertür.
     
     
     
     
     

15
    Ich lief über den Gehsteig zum Wagen,
dicht gefolgt von John und Luis. Ich lehnte mich gegen die Tür und preßte die
Stirn gegen das kühle Fensterglas.
    »Bist du okay, Kindchen?« fragte John.
    Ich gab keine Antwort. Drehte mich zu
Luis um und sagte: »Er hat ein paar Lügen erzählt, aber das meiste war wahr.«
    »Ja.«
    »Selbst das, was er weggelassen hat —
daß er meinen Freund umgebracht und seine Leiche beseitigt hat—, lag auf der
Hand.«
    Luis nickte, und der Kummer stand ihm
ins Gesicht geschrieben. Jetzt wußte ich also, warum es mir nie gelungen war,
eine Verbindung zu Hy herzustellen. Er war tot. Drei Tage lang hatte ich nun
jeden seiner Schritte verfolgt, und dabei war er die ganze Zeit schon tot
gewesen. Erschossen auf einer einsamen Mesa, seine Leiche irgendwo verscharrt.
    Tränen stiegen mir in die Augen. Ich
blinzelte sie weg. Nicht jetzt.
    Was war mit dem anderen Mann im Jeep?
fragte ich mich. Auch tot? Nein, Salazar hätte mir das nicht verschwiegen. Ein
Komplize von ihm? Möglich. Nach dem, was ich wußte, konnte Salazar in die
Mourning-Entführung verwickelt sein. Und Timothy Mourning? Was sein Schicksal
anging, hatte Renshaw wohl recht: Er lag irgendwo mit einer Kugel im Kopf in
einem Graben.

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