Wölfe und Kojoten
ganz
sicher, daß es sich bei dem Mann mit der Padres-Mütze, der mir am Morgen
gefolgt war, um einen RKI-Mann gehandelt hatte. Und so genau hatte er mich
ohnehin nicht ansehen können. Die Kleider aus dem Koffer waren so gut wie eine
Verkleidung. Das einzige Problem war mein Haar.
Ich beugte mich zum Spiegel vor und
prüfte mein Aussehen. In den letzten Jahren hatte ich an meiner Frisur nur sehr
wenig verändert, bis auf das Übertönen der grauen Strähne, die ich seit meiner
Teenager-Zeit hatte — aus Eitelkeit, wie ich in selbstkritischen Momenten
zugeben mußte. Mein Haar war schwarz, dicht und sehr lang. Ich trug es offen
oder gelegentlich zum Pferdeschwanz gebunden. Wollte ich besonders erwachsen
wirken, steckte ich es mir zu einem Knoten oder einer Hochfrisur. Wahrscheinlich
war mein Haar mein sichtbarstes Charakteristikum, und ich war immer stolz
darauf gewesen.
Doch jetzt lehrte mich der Blick in den
Spiegel, wonach es in Wirklichkeit aussah, und ich fragte mich, warum ich es
die ganze Zeit so getragen hatte. Eine Frau mit solch wallendem Haar verriet
damit nur, daß sie die Zeit Stillstehen lassen wollte. Schlimmer noch, ich sah
tatsächlich aus wie die Karikatur eines übriggebliebenen Hippies.
Seltsam, dachte ich. Ich hatte in mir
nie einen Menschen gesehen, der an der Vergangenheit hing. Ich war vielmehr der
Meinung gewesen, daß ich sie immer wieder hinter mir gelassen hatte, wenn auch
auf oft unterschiedliche Weise. Da mußte ich mich wohl getäuscht haben.
Vor zwei Tagen jedoch hatte ich
tatsächlich ein Stück Vergangenheit hinter mir gelassen — in den Resten der
Baumhütte aus meiner Kindheit. Die Tatsache, daß der Mann, den Salazar auf der
Mesa erschossen hatte, nicht Hy war, hatte mir zwar neue Hoffnung gegeben, doch
an den eigentlichen Erkenntnissen dieser trostlosen Stunden hatte sie nichts
geändert. Wie die Geschichte auch immer ausging, Vergangenheit war
Vergangenheit, und mein Leben würde nie mehr so sein, wie es gewesen
war. Ich konnte zu meiner nahen oder ferneren Vergangenheit stehen, aber die
Voraussetzungen von damals galten heute nicht mehr. Ich mußte mir eine neue
Gegenwart schaffen, eine Gegenwart, die mich in eine andere Zukunft führen
konnte, als ich sie mir bisher vorgestellt hatte. All diese Überlegungen liefen
auf eine unausweichliche Schlußfolgerung hinaus: Das Haar mußte runter.
Die verschlungenen Wege weiblicher
Überlegung. Ironisch grinste ich mich im Spiegel an. Ein Haarschnitt erhält
plötzlich schicksalhafte Bedeutung — warum auch nicht? Jene Frauen, die von
alters her unsere Träume geträumt haben, während ihre Hände wie
selbstverständlich Essen gekocht, Kinder umsorgt und das Haus in Ordnung
gehalten haben, wissen instinktiv, daß alles Teil eines großen Ganzen ist.
Nachdem dieser Punkt geklärt war, ließ
ich die Philosophie beiseite und widmete mich der profanen Suche nach einem
Friseur in der Nähe.
Natürlich wurde es eine gräßliche
Erfahrung. Erstens hieß der Laden »Verrückte Schere«, und zweitens trug Becky,
die Friseuse, einen orange-grünen Papageienschopf auf dem Haupt. Noch bevor ich
mich schreiend auf die Straße zurück retten konnte, hatte sie mich in einen
Sessel plaziert und begonnen, dicke Strähnen meines Haares abzusäbeln. Ich
schloß die Augen und öffnete sie erst wieder, als ich aufstehen und zum
Waschbecken gehen mußte. Dabei wagte ich einen Blick auf den Boden, wo meine
einstige Mähne lag wie ein totes Tier. Mich schauderte, und ich sah fort von
dem Schlachtfeld, während Becky alles zusammenfegte. Die Reste auf meinem Kopf
wurden nun gewaschen. Dann ging es zum Frisiersessel zurück, und der Fassonschnitt
begann. Grimmig schloß ich erneut die Augen. Über das Summen des Föns hinweg
sagte sie: »Diese Frisur steht Ihnen großartig. Sehen Sie sich an.«
»Erst, wenn alles fertig ist.«
Schließlich schaltete sie den Fön aus,
frisierte, sprayte und machte hier und da eine kleine Korrektur. Dann drückte
sie mir einen Spiegel in die Hand. »Jetzt können Sie hinsehen.«
Ich schaute mich an. Das Haar war
schulterlang und fiel voll und glänzend in eine leichte Innenrolle. Nicht zu
wild, aber auch nicht zu streng. Einfach perfekt.
»Meine Güte«, sagte ich.
Becky runzelte die Stirn und wußte
nicht, ob es mir gefiel oder nicht.
»Es ist einfach toll«, fügte ich hinzu
und stockte in Gedanken schon das Trinkgeld auf. »Kriege ich das denn selbst
auch so hin?«
Sie nickte. »Sie haben wunderbares
Haar.
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