Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

beobachtete, wie sich abschnittsweise die Pixel füllten. Das Schwarzweißbild mußte älter sein, sie war darauf höchstens achtzehn, schätzte Hannes. Sie trug das Haar streng nach hinten gebunden, und das Gesicht sah voller aus. Aber sie war es, da bestand kaum ein Zweifel. Und noch etwas fiel ihm an dem Foto auf: Es war ein Bild, wie man es bei der erkennungsdienstlichen Behandlung anfertigte, auch wenn der typische Balken darunter fehlte. Er kannte solche Bilder zur Genüge aus Gerichtsakten, um sie sofort zu erkennen. Demnach war das Mädchen also irgendwann erkennungsdienstlich behandelt worden. Vielleicht hatte es sogar ein Ermittlungsverfahren gegen – wie hieß sie noch gleich – Sharifa Zaimeh – gegeben. Der Name klang irgendwie arabisch. Oder persisch? Wenn er sich das Foto jetzt so ansah …
    Hannes lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und wippte eine ganze Weile sanft vor sich hin. So einfach war das. Warum hatten sie nicht schon längst ein bißchen recherchiert? Robin, der sich immer auf die Zeitungen stürzte, hätte doch etwas mitbekommen müssen. Aber der war sich ja zu intellektuell für den Lokalteil, der las nur das Feuilleton, Barbara las nur die Klatschseiten über Promis und Hannes die Politik, den Wirtschaftsteil und die Klatschseiten über Promis. Klara las vermutlich überhaupt keine Tageszeitung. Wie einfach sie zu täuschen gewesen waren. Man glaubt gerne das, was man glauben will, stellte Hannes fest.
    Er klickte sich weiter durch die Datei. Ein paar Tage lang stand nichts über Sharifa Zaimeh oder den entlaufenen Stefan Hinrichs in den Polizeimitteilungen. Beide schienen spurlos verschwunden zu sein.
    Erst am Sonntag, den 4. April, kam wieder Bewegung in die Sache.
Spaziergänger findet ausgebranntes Auto
mit verkohlter Leiche
    lautete die Überschrift.
In einem Waldstück bei Springe fand ein Spaziergänger gestern nachmittag ein völlig ausgebranntes Auto, in dem sich ein ebenso verbrannter menschlicher Leichnam befand. Es wird vermutet, daß es sich bei dem Wagen um den gestohlenen Opel Corsa handelt, der im Zusammenhang …
    Hannes schenkte sich den Rest und suchte weiter. An den Tagen darauf wurde er fündig. Am Montag war zu lesen: Die kriminaltechnischen Untersuchungen haben ergeben, daß es sich zweifelsohne um den gestohlenen Opel Corsa handelt, mit dem der psychisch gestörte Straftäter Stefan Hinrichs am 29. März aus dem Landeskrankenhaus Wunstorf geflohen ist.
    Am Dienstag herrschte auch über die Identität der Leiche Klarheit. Eine gentechnische Untersuchung sowie ein Gebißvergleich ergaben ohne Zweifel, daß es sich bei dem Toten im Wagen um den geflohenen Straftäter Stefan Hinrichs handelt.
      Die Gerichtsmedizinger gingen davon aus, daß die verbrannte Leiche bereits seit etwa einer Woche im Wald lag. Am Schädel der Leiche waren außerdem Spuren stumpfer Gewalteinwirkung gefunden worden. Im Zusammenhang mit dem Fund der Leiche wurde erneut nach der noch immer verschwundenen Sharifa Zaimeh gefahndet. Die Polizei schloß eine Tötung aus Notwehr nicht aus.
    Die Datei war bis zum vergangenen Donnerstag, dem 15. April, aktualisiert worden, doch die restlichen Tage brachten nur noch eine neue Erkenntnis: Die Leiche wies an den Handgelenken Spuren von verbranntem Kunststoff auf.
    Hannes legte das Gesicht in die Hände und grübelte. Feuer. Immer wieder Feuer. Das verbrannte Auto. Das Osterfeuer. Das Feuer, mit dem Nasrin Robins Hausrat verbrannt hatte … Er sprang auf und rannte nach unten, wo die Zeitung noch immer auf dem Tisch lag, aufgeschlagen auf der Seite mit dem Bericht über den Brand und die verkohlte Leiche im Haus. Er las den Artikel erneut. Kein Wort über die Brandursache. Statt dessen stolperte er förmlich über das Wort: Ökosiedlung. Die Zeitung in der Hand, eilte er in sein Arbeitszimmer. In dem Bericht über den verhinderten Einbruch am 30. März stand ebenfalls etwas von einem Haus in der sogenannten »Ökosiedlung« .
    Wieviele Häuser umfaßte diese Siedlung innerhalb des Neubaugebietes? Zwanzig, dreißig? Was, wenn es sich um dasselbe Haus handelte? Das hätte der Polizei doch auffallen müssen, warum stand darüber nichts in der Zeitung? Das hat nichts zu sagen, schlußfolgerte Hannes. Der Tote war am Freitag erst gefunden worden. Bis die Polizei der Presse Einzelheiten mitteilte, konnte leicht ein Tag vergehen. Genaueres würde man wohl erst in der Montagsausgabe lesen können.
    Der zeitliche Zusammenfall der Vorkommnisse mit