Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Siedlung »Öko« war, erschloß sich dem Besucher nicht auf Anhieb. Wahrscheinlich das viele Holz an und vor den Häusern und die vielen Kompostbehälter.
Kleinkinder rumpelten mit Bobbycars über die teilweise noch unfertigen Straßen, größere kurvten mit Fahrrädern und Geschrei durch den Matsch. Familienväter hackten Holz für die Kachelöfen. Hier wurde offenbar alles getan, um die Kleinen artgerecht aufzuziehen. Manchmal wunderte sich Hannes, wie seine Generation ohne größere Verluste hatte überleben können: rauchende Eltern in Autos ohne Kindersitze und Sicherheitsgurte, Verkehrsberuhigung nur durch autofreie Sonntage, und die heimische Küche weit entfernt von Vollwert oder Bio. Ich werde alt, dachte Hannes.
Das abgebrannte Haus hatte zwischen einem Blockhaus, das Hannes unweigerlich an eine finnische Sauna erinnerte, und einem gemauerten Anwesen mit riesigem Bayern-Balkon gestanden. Das Gelände war mit einem rotweißen Band abgesperrt und wirkte wie eine häßliche Narbe, die das Idyll störte. Es gab wenig Zäune in der Ökosiedlung, aber das abgebrannte Haus hatte einen gehabt. Die Hälfte stand noch, den Rest hatte vermutlich die Feuerwehr entfernt. Auf dem Briefkasten stand der Name: Sieloff. Zwei Jugendliche in Feuerwehruniform paßten auf, daß niemand das Gelände betrat. Einer von ihnen rauchte. Bestimmt würde es dafür gleich einen Rüffel von einer Ökomama geben, dachte Hannes. Er blieb stehen und schaute sich den Brandort an. Verkohlte Balken, ein verschmorter Boiler, ein Ofenrohr. Nein, viel war nicht übriggeblieben, das war der Nachteil von Holzhäusern. Im Garten des Hauses nebenan befreite eine Frau ein Beet von welken Blättern.
Hannes trat an den nur kniehohen Lattenzaun. Es machte ihm keine Schwierigkeiten, ein Gespräch zu beginnen, und nachdem ihn die ungefähr gleichaltrige Frau erkannt hatte, war ihr Redefluß kaum noch zu bremsen. Ja, sie und ihr Mann hatten seinerzeit diesen Einbrecher beobachtet, gab sie Auskunft.
»Gut, daß Sie sofort die Polizei gerufen haben.«
»Das sage ich auch. Mein Mann wollte erst nicht, aber ich habe ihn schließlich doch überzeugen können. Aber bis die dann hier waren … klar, daß der schon längst verschwunden war.«
»Sie als Nachbarn kannten die Familie doch sicher näher, oder?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nicht besonders. Obwohl sie schon zwei Jahre hier wohnen. Wissen Sie, die ersten Besitzer dieses Hauses sind leider mit ihrer Firma pleite gegangen. Jedenfalls stand es eine Weile leer und wurde dann versteigert. Anders hätten die es sich gar nicht leisten können.« Dabei zeigte sie auf die verkohlten Reste des Sieloffschen Anwesens. »Komische Leute, mal grüßten sie, mal wieder nicht. Sie waren zur Kur an der Nordsee, mit ihrem jüngsten Sohn, der hat Asthma.«
»Und der Sohn, der umgekommen ist?«
»Der Boris. Der grüßte wenigstens immer. Aber er war schon mal im Knast, in Hameln.«
»In der Jugendstrafanstalt?«
»Ja. Einbruch und Hehlerei und solche Sachen. Hat man sich hier erzählt, das war, bevor sie hierher zogen. Aber im letzten Jahr sah es so aus, als würde er zumindest die Berufschule regelmäßig besuchen. Deshalb ist er wahrscheinlich auch zurückgekommen.«
Hannes dachte nach. Ferienende. Hatte Nasrin gewußt oder gehofft, daß der Junge zurückkommen würde, wenn die Ferien zu Ende waren, hatte sie bei ihnen im Gästehäuschen gut versteckt die ganze Zeit nur darauf gewartet?
»War er zusammen mit seinen Eltern verreist?«
»Das glaube ich nicht. Der ging eigene Wege. Der war auch nicht immer hier.«
Hannes zog die ausgedruckten Fotos von Stefan Hinrichs und Sharifa Zaimeh aus der Tasche und zeigte sie der Frau. Die schien keine Sekunde zu überlegen, warum er ihr all diese Fragen stellte und ob er überhaupt das Recht dazu hatte. Ein Fernsehrichter durfte alles, und sie antwortete bereitwillig. Nein, den jungen Mann hatte sie noch nie hier gesehen.
Logisch, dachte Hannes. Der war die letzten Jahre ja auch weg vom Fenster.
Das Mädchen kannte sie leider auch nicht. Es war ihr anzumerken, daß sie das bedauerte.
»Sagen Sie Frau …« Hannes blickte sich nach einem Türschild um.
»Schaub«, sagte sie.
»Frau Schaub. Wenn Sie an diesen verhinderten Einbrecher denken. Der trug eine Mütze, oder?«
»Ja. Deswegen kam er uns ja so verdächtig vor. Es waren die ersten Frühlingstage, und der trug eine dicke Mütze und einen dicken Pullover.«
»Hätte das auch eine Frau sein
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