Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
können?«
Frau Schaub dachte nach. »Jetzt, wo Sie es sagen. Das Gesicht haben wir ja nicht sehen können, aber groß war er nicht, und auch nicht sehr kräftig. Ja, eigentlich schon. Auf die Idee sind wir gar nicht gekommen.«
Hannes lächelte, machte noch ein paar freundliche Bemerkungen über den Garten und verabschiedete sich dann höflich. Natürlich würde morgen der ganze Ort wissen, daß er sich für die Familie aus dem abgebrannten Haus interessiert hatte, aber das ließ sich nicht ändern.
Er schaute auf die Uhr und fuhr los. Auf dem geteerten Feldweg blies ihm ein strammer Wind entgegen. Genaugenommen schon ein Sturm. Der Himmel hatte ein bedrohliches Lila angenommen. Hannes trat kräftig in die Pedale. Er hatte keine Lust, naß zu werden. Außerdem hatte er plötzlich einen Riesenhunger. Der Kühlschrank dürfte leer sein, spekulierte er. Die Geschäfte hatten längst zu, es war schon nach sechs. Tankstelle oder McDonald’s überlegte Hannes gerade, als die ersten schweren Tropfen fielen. Also letzteres. Vor der Tür des schottischen Restaurants schaute er wieder auf die Uhr. Er hatte über fünfzehn Minuten gebraucht. Allerdings hatte er mit starkem Gegenwind zu kämpfen gehabt. Wenn Nasrin sich eins der Fahrräder der Kinder gegriffen hatte, hatte sie es bei windstillem Wetter womöglich in zehn Minuten geschafft. So lange hatten die Schaubs wahrscheinlich schon gebraucht, um sich zu überlegen, ob sie nun die Polizei rufen sollten oder nicht. Bis dann die Streife aus dem Zentrum des Ortes in der Siedlung gewesen war, sich informiert hatte und wieder ausgerückt war …
Wenn man an den Teufel denkt, dachte Hannes, als er gerade sein Tablett an einen freien Tisch trug. Draußen fuhren zwei Streifenwagen durch den Regen. Der Audi, der ihnen folgte, war ein anderer als der von heute vormittag, sah aber dennoch verdächtig nach Kripo aus. Wahrscheinlich vom Kommissariat Ronnenberg. Die drei Fahrzeuge steuerten den Drive-in -Schalter an.
Irgendwie hat sich das Polizeiaufkommen in dieser Gegend während der letzten Tage gewaltig erhöht, dachte Hannes.
Klara lief längst nicht mehr auf den spärlichen Pirschwegen, sondern kreuz und quer durch das Gelände. Von den Wölfen hatte sie seit dem späten Nachmittag nichts mehr gesehen. Davor war Ruska kurz aufgetaucht und wieder verschwunden, nachdem Klara sie ignoriert hatte. Hoffentlich bleiben sie weg, dachte Klara und wünschte sich gleichzeitig, sie noch ein letztes Mal zu sehen. Die Trennung von den Tieren fiel ihr schwerer, als sie gedacht hatte. Es war acht Uhr und wegen des schlechten Wetters schon fast dunkel. Dürre Fichten bogen sich im Wind. Von einem lauen Frühlingslüftchen hatte der Nordostwind hier oben nichts mehr. Vorhin hatte es heftig geregnet, und nun troff alles vor Nässe. Klara war müde, aber noch lief sie, schon um nicht zu frieren. Die Nacht würde noch lang genug sein. Sie hatte ihre Position schon längere Zeit nicht mehr überprüft. Wozu auch, es war egal, sie würde auf jeden Fall zurückfinden. Diese GPS-Technik war schon genial, und gleichzeitig unheimlich. Vielleicht werden irgendwann alle Autos mit einem Chip ausgestattet sein, so daß die Behörden das Fahrzeug über Satellit nicht nur orten, sondern auch lahmlegen konnten, wenn es gestohlen oder sein Besitzer straffällig geworden war. Oder wenn die Steuer nicht bezahlt war. Vielleicht hörte irgendwo irgendwer jetzt schon alle Handygespräche ab, ein Computer, der alle Sprachen der Welt beherrschte, filterte gewisse Worte heraus und zeichnete jede Bewegung des Handybenutzers auf. Wer weiß, grübelte Klara, ob Huxleys schöne neue Welt nicht schon längst von der Wirklichkeit übertroffen worden war. Mit derlei Gedanken vertrieb sie sich die Zeit. Man kam auf die wildesten Ideen, wenn man so umherlief und sonst keine Ansprache hatte. Sie hatte das Telefon ausgeschaltet, um den Akku zu schonen. Mit Trenz hatte sie am Nachmittag gesprochen. Sie hatte gesagt, daß alles in Ordnung sei. Sie hatte nichts gesagt von ihren aufkommenden Zweifeln am Sinn der ganzen Aktion, nichts davon, daß sie Angst davor hatte, was sie zu Hause erwartete, und daß ihr davor graute, Robin in die Augen sehen zu müssen.
Wenn Mario bloß den Mund gehalten hätte. Aber als sie nach Robins Schuß bei ihm angekommen war, hatte er sich von seinem Schrecken schon wieder erholt gehabt. Er hatte noch immer am Boden gesessen und sich das linke Bein gehalten, aber schon wieder war eine Sturzflut von
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