Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Stück Zuckerrübe, das von der letzten Ernte übriggeblieben war. Aber seit wann interessierte sich Moritz für angegammelte Rüben? Nichts Gutes ahnend, drehte er den Fund mit dem Schuh herum. Definitiv keine Rübe, auch kein Jungvogel und kein Stück verwester Hase. Es war ein Knochen mit einem Stück Fleisch daran. Und dort, am äußersten Zipfel hing etwas, das aussah wie ein Stück Haut mit einem Fingernagel. Wenn er sich nicht verdammt täuschte, dann war das, was da vor ihm lag, ein Stück einer menschlichen Hand.
Der Hund war wieder aufgestanden und näherte sich dem Klumpen. »Pfui!« schrie sein Herr aufgebracht. Er nahm den verschreckten Hund an die Leine und führte ihn ein paar Schritte weg.
Was jetzt? Den Hund an der Leine schaute er ratlos über das Feld. Was, wenn da noch mehr lag? Eine ganzes Leichenpuzzle womöglich? Ein ziemlich makabrer Gedanke. Jedenfalls war das Sache der Polizei. Mist! Warum hatte er nie sein Handy dabei, wenn er es brauchte? Aber er konnte das Stück Hand nicht einfach mitten auf dem Weg liegenlassen. Auch nicht am Feldrand, die Krähen würden sie sich sofort wieder schnappen, oder ein Bussard oder ein anderer Hund. Er wühlte in seinen Taschen. Er hatte immer eine kleine Plastiktüte einstecken, falls Moritz sein Geschäft an einem unerwünschten Ort verrichten sollte. Natürlich war diese Tüte nun verschwunden.
»Herrgott noch mal!« fluchte er. Er war drei Kilometer von seinem Haus entfernt, selbst bis zum Gut war es mindestens ein halber Kilometer, und alles, was er in seinen Taschen fand, war ein zerknülltes und schon mal benutztes Papiertaschentuch. Den Fund mit seinen bloßen Fingern anzufassen, kam nicht in Frage. Man sollte als Hundebesitzer nie ohne Latexhandschuhe aus dem Haus gehen, dachte er verärgert. Moritz winselte ungeduldig. Schließlich hatte der Doktor die rettende Idee. Er zog einen Gummistiefel aus und seine Socke. Barfuß glitt er wieder in den Stiefel. Mit dem gebrauchten Taschentuch ergriff er die Hand an dem Knochen und steckte sie in die Socke. Er atmete durch. Das wäre geschafft. Er befahl Moritz an seiner linken Seite »bei Fuß« zu gehen. Das tat Moritz auch, aber er schielte ständig nach der Socke, die sein Herr in der rechten Hand angewidert von sich gestreckt nach Hause trug.
Ohne Barbara kam Hannes das Haus plötzlich sehr still vor. Woher nur ihr plötzlicher Haß kam? Wie konnte sie ihn so eiskalt erpressen? Und dann diese naive Vorstellung, er brauche nur mit dem Finger zu schnippen, und sie wäre ein Star. Wenn er ihr bloß nicht gezeigt hätte, wie man die Fotos von der Kamera in den Computer lud! Er war selbst schuld. Nein, eigentlich war dieses verdammte Mädchen an allem schuld. Aber das half ihm jetzt auch nicht weiter. Er setzte sich an den Computer und rief die Seite der Polizei Niedersachsen auf. Er klickte sich durch den Kalender und begann mit dem Montag, dem 29. März, einen Tag bevor Barbara das Mädchen aufgegabelt hatte. Eine Überschrift fiel ihm sofort auf: Straftäter flieht aus Maßregelvollzug. Das würde irgendwie passen, dachte Hannes. Nur hieß es leider »Straftäter.« Dennoch war er neugierig geworden und las den Bericht.
Ein Straftäter ist am Montag während eines Arbeitseinsatzes in der Gärtnerei aus dem Maßregelvollzug des Landeskrankenhauses Wunstorf entflohen. Obwohl sofort die Polizei alarmiert wurde und eine intensive Suche unter Beteiligung einer Hundestaffel und dem Einsatz von zwei Helikoptern begann, konnte der Mann nicht gefunden werden. Der drogenabhängige Vierundzwanzigjährige war wegen Raubes verurteilt und befand sich wegen seiner Drogensucht in therapeutischer Behandlung. Aufgrund der akuten Raumnot im Maßregelvollzug in Niedersachsen war der Patient aus der Forensischen Klinik Moringen nach Wunstorf verlegt worden. In Moringen sind die Sicherheitsvorkehrungen auf Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen zugeschnitten, während in Wunstorf nomalerweise eher »leichtere« Fälle behandelt werden. Die steigende Anzahl psychisch kranker Straftäter verlangt jedoch gelegentlich nach Kompromissen. Die Verlegung des Mannes war mit der Justiz abgestimmt. In wenigen Wochen sollte über seine Unterbringung in der Regelstation der Allgemeinpsychiatrie entschieden werden, die Prognosen der behandelnden Therapeuten waren durchweg positiv. Wie dem Mann die Flucht gelang, muß noch ermittelt werden. Er wurde bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben.
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