Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Hannes stellte das Geblubber ab. Es war Thünken, der Programmdirektor. Das war nun wirklich eine Überraschung. Ohne große Umschweife rückte er mit seinem Anliegen heraus. Er habe gerade heute ein interessantes Konzept für eine Serie in die Finger bekommen.
Unfug, dachte Hannes, bestimmt hatte er das Ding schon seit Tagen in der Schublade.
»Genauer gesagt ist es ein Remake eines sehr alten, aber sehr erfolgreichen Formates …«
Hannes hörte ihm fast eine Viertelstunde lang zu. Es handelte sich um eine Neuauflage von Wie würden Sie entscheiden? Natürlich poppiger und peppiger, mit einigen Promis und mit Ted-Abstimmung und Gewinnen. »Und Fälle mit viel human touch , natürlich.«
»Natürlich«, sagte Hannes, dem langsam kühl wurde.
»Natürlich sind Sie die Hauptperson, denkbar wäre, daß prominente Anwälte die Verteidigung übernähmen, sofern man sie dafür begeistern könnte.«
»Anwälte nehmen jede Chance für PR mit Handkuß wahr«, meinte Hannes.
»Vor allen Dingen brauchen wir aber eine knackige Vertretung der Staatsanwaltschaft. Es muß richtig zur Sache gehen, mit Leidenschaft und Biß.«
Das Wasser wurde langsam kalt, und er wollte nichts nachlaufen lassen, das hätte Thünken gehört.
»Haben Sie Frau Reinecke schon gefragt?«
»Nun, wir sind uns bewußt, daß es zwischen Frau Reinecke und Ihnen des öfteren Meinungsverschiedenheiten gibt. Wie gesagt, Sie sind die Hauptperson, wenn Sie sagen, Sie möchten nicht mit der Reinecke, dann ist das völlig in Ordnung. Wir finden schon jemand anderen. Aber eine Frau wäre dennoch nicht schlecht, vielleicht eine etwas jüngere.«
»Ich möchte die Reinecke«, sagte Hannes. »Sonst niemand. Sagen Sie ihr das bitte, genau so, wie ich es Ihnen gesagt habe.«
»Äh, ja schön, wunderbar«, sagte der Programmdirektor verblüfft. »Ehrlich gesagt, das überrascht mich jetzt.«
»Es ist eine alte Haßliebe«, meinte Hannes.
»Genau das, was die Sendung braucht«, frohlockte es am anderen Ende. »Wegen der finanziellen Seite …«
»Darüber können wir nächste Woche sprechen«, sagte Hannes. »Tun Sie mir den Gefallen, und rufen Sie die Reinecke so bald wie möglich an.«
Als er aufgelegt hatte, beschloß er, gleich noch einmal Klara anzurufen und sie über seine jüngsten Erkenntnisse zu informieren. Danach würde er Robin fragen, ob sie den Abend nicht zusammen verbringen wollten, vielleicht bei ein, zwei Flaschen Wein. Er ließ das Wasser ab und duschte den Heublumenschaum vom Körper. Nach dem Abtrocknen fühlte er sich steinalt und müde. Nur ein Stündchen, dachte er und wankte wie ein Betrunkener in sein Schlafzimmer. Er kroch ins Bett und war innerhalb von wenigen Minuten eingeschlafen.
Robin starrte ins Kaminfeuer und blinzelte erst, als ihm die Augen tränten. Es hatte ein paar Stunden gebraucht, ehe er die Botschaft von heute morgen ganz begriffen hatte. Er hatte also den Liebhaber seiner Freundin umgebracht.
So lange der Tote im Keller gelegen hatte, hatte Robin den Gedanken an ihn recht erfolgreich verdrängt. Er war eben »der Tote im Keller« und damit fast so unwirklich und so weit weg wie die Leiche in einem Fernsehkrimi oder in einer Nachrichtensendung. Eine abstrakte Größe. An den Schuß erinnerte er sich kaum noch, sein Gedächtnis setzte erst wieder an der Stelle ein, als Klara ihm einen Tee ans Bett gebracht hatte. Aber auch daran erinnerte er sich nur sehr schemenhaft. Den nackten Toten mit den rasierten Haaren im Schweinestall zu sehen, war ein Schock gewesen. Erst da war ihm die Dimension der Geschehnisse klargeworden, erst da war aus dem »Toten im Keller« wieder ein Mensch geworden. Ein junger Kerl, dem er das Leben genommen hatte. Er hatte gehofft, Nasrins Brief würde Aufklärung bringen und der Tat einen Sinn geben. Er hatte gehofft, daß aus dem toten Menschen ein toter Bösewicht werden würde. Ein Killer, ein Schläger, ein Terrorist. Er hatte gehofft, seine Tat würde nachträglich eine gewisse Rechtfertigung erfahren. Er wollte sich sagen können: Wenn ich den Kerl nicht umgebracht hätte, wäre Nasrin jetzt tot oder entführt worden.
Und nun das. Wo steckte da der Sinn?
Er hatte einen Kerl erschossen, der wie ein rolliger Kater ums Haus geschlichen war. Einen jungen Kerl, den Klara benutzt und fallengelassen hatte, aus welchen Gründen auch immer. Keinen fiesen Killer, keinen von zweifelhaften Ehrbegriffen getriebenen Messerstecher hatte er zur Strecke gebracht, sondern einen dummen Hitzkopf, der
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