Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
nicht hinnehmen wollte, daß er nicht mehr gefragt war, und deswegen ein bißchen Stunk machen wollte. Ein kleines, armseliges Arschloch.
Robin ging ins Bad. Im Spiegel über dem Waschbecken sah er sich an. Große, graue Augen, schmale Wangen, unrasiert.
Das Gesicht eines Mörders. Er rieb sich Rasierschaum auf die Wangen und rasierte sich gründlich. Schon sah er frischer aus, nur sein Haar hing ihm noch in wirren Fransen in die Stirn. Er kramte in dem kleinen Badezimmerschrank nach dieser Maschine, die er angeschafft hatte, um den Friseur zu sparen. Er setzte die Maschine an. Innerhalb weniger Minuten war sein Schädel kahl und die Haut schimmerte bläulichweiß durch die abrasierten Stoppeln hindurch.
Klara wurde schlagartig wach, als sie von der Bank rutschte. Es war ein Uhr. Immerhin hatte sie ein paar Stunden geschlafen. Leider hatte sie die Stirnlampe nicht gelöscht. Sie brannte zwar immer noch, aber sie hatte nur einen einzigen Satz Ersatzbatterien dabei. Die Kanzel schwankte bedrohlich. Klara holte ihr Regencape heraus, schulterte ihren Rucksack, hängte sich das Gewehr um und öffnete die Tür. Auch das noch. Der Regen war in einen nassen Schneefall übergegangen. Der Sturm fauchte durch die Kronen der Bäume, und Klara war versucht, die Tür wieder zu schließen und lieber das Risiko einzugehen, mitsamt der Kanzel vom Baum zu stürzen, als sich den tobenden Elementen auszusetzen. Ein alter Jägerspruch fiel ihr ein: Wenn der Wind jagt, bleibt der Jäger zu Hause. Wo wohl die Wölfe untergekrochen waren? Aber für die war das sicher kein Problem.
Das Geschaukel hier oben war Klara nicht länger geheuer, noch dazu, wo das Holz ächzte wie ein alter Kahn. Sie zog die Kapuze fest und machte sich an den Abstieg. Das nasse Holz war glitschig. Sie hatte die Hälfte der Leiter hinter sich, als es krachte. Die Sprosse, auf die sie gerade getreten war, brach unter ihr weg wie ein Streichholz, ein Ruck ging durch ihren Körper, dann hing sie nur noch mit den Händen an der Leiter und angelte mit den Füßen nach Halt. Als hätte der Sturm genau auf diesen Moment gewartet, schien er noch einmal alle seine Kräfte auf einen Punkt zu konzentrieren. Wütend klatschte er ihr eine eiskalte Bö ins Gesicht, und ihr baumelnder Körper mit dem Regencape bot gerade genug Angriffsfläche, um sie wie ein welkes Blatt von der Leiter zu fegen. Ihr Schrei wurde vom Wind zerrissen, dann kam der freie Fall. Mit einem dumpfen Schlag landete ihr Körper auf dem Waldboden. Sie fühlte, wie durch den Aufschlag die Luft aus ihren Lungen gepreßt wurde, aber es folgte kein Schmerz, es war dieses Gefühl, wie wenn man längere Zeit in der Hocke zugebracht hatte und dann zu schnell aufstand und sich kurz irgendwo festhalten mußte, nur daß der Schwindel diesmal nicht verging, sondern sie mit sich zog, und sie tauchte ein in diesen Strudel, von dem sie immer schon hatte wissen wollen, was sich dahinter verbarg.
Die viel zu große Uhr an seinem Handgelenk gab fiepsende Töne von sich, die ihm penetrant ins Ohr krochen. Hastig stellte Jonas das Ding ab. Er setzte sich auf und lauschte. Die anderen atmeten gleichmäßig. Einer schnarchte ein wenig. Er hoffte, daß sie heute ein wenig länger schlafen würden, sie hatten bis ein Uhr Geschichten erzählt und über ihre dummen Witze gekichert. Zum Glück mußte man bei Raphael wenigsten nicht ständig diese Pfadfinderlieder trällern. Er war hier, um der Natur nahe zu sein, nicht um zu singen. Von draußen hörte man es rauschen. Der Sturm. Am Abend hatten besorgte Eltern Raphaels Handy angerufen und ihnen eingeschärft, in der Hütte zu bleiben.
Jonas zögerte. Es war schon letzte Nacht sehr, sehr unheimlich gewesen. All diese Geräusche im Wald. Außerdem hatte es nichts gebracht, auf dem Hochsitz zu hocken und mit der Taschenlampe herumzuleuchten. Nur ein einziges Tier hatte er zu sehen bekommen, einen Fuchs, der verwundert in die Lampe gestarrt hatte und dann im Dickicht verschwunden war.
Er schälte sich aus dem Schlafsack, nahm seinen Parka und die Gummistiefel, kletterte von der Empore, auf der sich die Schlafplätze befanden, in den Aufenthaltsraum hinunter. Im Kamin glomm noch ein dickes Scheit Buchenholz und spendete einen schwachen Lichtschein. Er schlich an die Tür. Noch einmal horchte er und vergewisserte sich, daß seine technische Ausrüstung komplett war. Taschenlampe, Fernglas, Digitalkamera, alles zur Hand. Er zog den Riegel zurück und schlüpfte hinaus. Der Wind riß
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