Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
eingeschlafen?«
»Nein. Ich bete.«
Alles war bereit: Die Isomatte stand zusammengerollt im Flur neben dem neuen, dicken Schlafsack. Der Rucksack war gepackt: Taschenlampe, Schweizermesser, Jogginganzug, eine Regenhose, Gummistiefel, Sweatshirt, T-Shirt, eine Jeans zum Wechseln, Unterwäsche, Socken, Hüttenschuhe. Eine Packung Schokoriegel und zwei Packungen Gummibärchen. Die Paprikachips hatten keinen Platz und mußten wieder raus, sie würden ohnehin nur zerbröseln. Ganz unten im Rucksack lag das neue Fernglas. Es war eine Leihgabe. Der Besitzer wußte allerdings nichts davon. Aber ein Fernglas war wichtig, ganz im Gegensatz zum Zahnputzzeug in der linken Seitentasche. In der rechten befand sich die Box mit der Zahnspange. Die Digitalkamera und das Fährtenbuch steckten in der Jacke, ebenso die Armbanduhr mit dem Piepswecker, ebenfalls »geliehen«.
Unten fuhr gerade der Wagen aus der Garage. Seine Mutter wollte ihm helfen, die Sachen hinunterzutragen, aber Jonas lehnte ab. Er war schließlich kein kleines Kind mehr, und zur Hütte würde er das Zeug auch selbst schleppen müssen. Geduldig ließ er die Ermahnungen bezüglich gesunder Ernährung und Körperhygiene über sich ergehen.
»Und bleibe bitte bei deiner Gruppe. Nicht, daß du wieder irgendwelchen Spuren hinterherläufst und man dich stundenlang suchen muß«, mahnte seine Mutter, wobei sie wieder einmal maßlos übertrieb.
»Ja.«
»Versprich es, Jonas!«
»Ich werde auf den Ausflügen immer bei der Gruppe bleiben, ich verspreche es.«
»Dann ist es ja gut«, sagte seine Mutter und gab ihm einen Kuß auf die Wange, ehe er zu seinem Vater in den Wagen stieg, wo ihn ähnliche Vorträge erwarteten.
Barbara hatte bis ein Uhr im Bett gelesen und lag noch wach, als sie hörte, wie die Wagentüren auf und zu schlugen. Sie sah keine Notwendigkeit, Klara zu verabschieden und ihr Glück für ihr verrücktes Vorhaben zu wünschen. Es reichte, wenn Hannes da draußen herumlungerte. Man hatte sie stets behandelt, wie ein Kind, das von den Plänen der Erwachsenen nichts verstand. Klara hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sie einzuweihen als die Welpen größer geworden waren und ihr Wolfserbe immer mehr zu Tage trat. Tschechische Wolfshunde, daß ich nicht lache! Erst heute hatte ihr Hannes selbst die Wahrheit erzählt, die sie schon längst kannte, und sie um Stillschweigen gebeten. Madame von Rüblingen hatte es nicht einmal für erforderlich gehalten, diese Bitte persönlich vorzubringen. Trotz Klaras oberflächlicher Freundlichkeit hatte Barbara von Anfang an gespürt, daß sie lediglich als temporäres Anhängsel von Hannes betrachtet wurde. Eine von vielen, austauschbar.
Aber die würden sich noch wundern. Barbara klappte den Krimi zu und löschte das Licht.
Den Abend hatte Klara damit zugebracht, ihre Ausrüstung zusammenzustellen. Sie mußte sich auf einen Rucksack beschränken, der nicht allzu viel Gewicht haben durfte. Sie verzichtete auf ein Zelt, nahm nur ein großes Regencape mit und ihren Vierzig-Grad-minus-Schlafsack. Wichtig waren eine ausreichende Anzahl von Batterien für die Stirnlampe, die Karten, die ihr Michael Trenz geschickt hatte und die SIM-Karte für das Mobiltelefon. In die Taschen ihres Parkas stopfte sie Müsliriegel und Energydrinks. Dann schrieb sie für Robin einen Zettel mit Instruktionen, was und wann er Merlin zu füttern und wie er ihn zu behandeln hatte. Als sie von ihrer Tour mit dem Mercedes zurückgekommen war, hatte er ordentlich einen sitzen gehabt. »Weissu, ich trinke, um su vergessen!« Hoffentlich hatte er morgen früh nicht vergessen, daß er Merlin versorgen mußte. Merlin schien zu spüren, daß etwas im Gange war. Er wich Klara nicht von der Seite, sie mußte ihn schließlich ins Haus sperren, wo er die Vorderpfoten auf den Sims des Küchenfensters legte und kläglich heulte, als Klara die anderen drei aus dem Zwinger holte.
»Was machst du denn hier?« fragte Klara, als sie Hannes neben dem Wagen stehen sah.
»Kann ich mitkommen?«
»Du? Du sagst doch immer, mehr als hundert Meter Fußmarsch grenzen an Landstreicherei.«
»Kann ich dich wenigstens hinbringen?«
»Nein.«
»Ich hole dich auch wieder ab. Dann besteht zumindest keine Gefahr, daß sie dein Auto finden.«
»Es wird nicht gefunden, dafür ist gesorgt. Aber danke für das Angebot.«
»Wenn irgendwas ist, kann ich dich erreichen?«
Klara zögerte. Aber schließlich gab sie ihm die Nummer der SIM-Karte, die Trenz ihr zugesandt
Weitere Kostenlose Bücher