Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Holzschild neben der Tür. Klara kicherte. Eine Theaterkulisse für den Komödienstadl. Sie blendete die Scheinwerfer wieder ab. Hinter der Hütte gab es einen mit rohen Brettern überdachten und von Schlingpflanzen überwucherten Unterstand. Klara rangierte den Wagen um die Hütte herum und stellte den Motor ab. Ein paar Äste vor die Einfahrt, und er wäre gut getarnt. Sie stieg aus und öffnete die Hecktür. Die Wölfe blinzelten sie träge an. Das Mittel schien noch immer zu wirken. Bei den Unterlagen von Trenz befand sich auch ein Schlüssel zu der Hütte. Trenz hatte geschrieben, sie könne dort auch übernachten, falls die Witterung gar zu rauh werden sollte, aber besser wäre es, in die von ihm vorgegebene Richtung mehr oder weniger im Zickzack zu wandern. Sie schloß die Hütte auf und leuchtete das Innere mit der Taschenlampe aus. Tisch, Stühle, eine Couch ohne Lehne, ein Regal mit Gläsern und urigen Bierkrügen, Spüle, Gaskocher. Im Küchenschrank Mäusekot. Über dem Tisch hing eine Petroleumlampe. Es roch feucht und muffig. Klara durchsuchte den Schrank und fand in der Schublade neben einem Satz Mausefallen eine Kerze. Sie faltete ihre Isomatte zusammen und zog es vor, bei offener Tür auf der Treppe sitzen zu bleiben. Es war kalt hier oben, die Luft war feucht. Sie schloß ihren Parka. Der Himmel wurde bereits langsam hell. Sie würde die Kerze, die sie neben sich gestellt hatte, gleich nicht mehr brauchen. Sie drehte sich eine Zigarette. Die letzte Selbstgedrehte hatte sie in Marios Bett geraucht, fiel ihr ein. Lichtjahre früher, in einer anderen Welt.
Sie nahm einen tiefen Lungenzug. Vom Nikotin wurde ihr schwindelig, aber sie rauchte die Zigarette, die die Form eines schwangeren Wurms hatte, tapfer zu Ende.
Sie schaltete das Handy an, und erstaunlicherweise hatte sie hier tatsächlich Netzempfang. Noch dazu einen ziemlich guten. Hatte Michael Trenz auch bedacht, was passierte, wenn sich die gechipten Tiere in Funklöchern aufhielten? Aber letztendlich würde sich das Ganze ohnehin ihrer Kontrolle entziehen. Man konnte die Natur nicht kontrollieren. Höchstens eine Weile beobachten. Wenn sie das Experiment einmal in Gang gesetzt hätten, waren sie dazu verdammt, seinem Ausgang zuzusehen, ohne noch eingreifen zu können. Und die nächste Generation würden sie nicht einmal mehr beobachten können. Sie schickte eine SMS an Michael Trenz: Hütte gefunden. Aufbruch nach Sonnenaufgang.
Dann packte sie der Übermut, und sie sandte eine Nachricht an das Handy von Hannes.
Sitze vor einem Hexenhaus und rauche wie ein Schlot.
Hannes erhielt die Meldung in dieser Nacht nicht mehr, sein Handy war ausgeschaltet. Auf der Mailbox hatte er bis zum Abend drei Anrufe von Renate Pichelstein vorgefunden. Die NDR-Talkshow wollte ihn als Gast, Beckmann stand immer noch an, wenn auch unter anderen Vorzeichen, und der WDR wollte ein Langzeitportrait mit ihm drehen. Vom CvD Kieferle war ein Fax gekommen, daß der Sendeplan umgestellt worden sei, am Montag wollten sie eine mit heißer Nadel gestrickte Folge über kriminelle Jugendliche drehen, die schon am Dienstag ausgestrahlt werden sollte. Hannes konnte sich nicht so recht an dem Ganzen erfreuen. Die Erinnerung an seine jüngsten Niederlagen waren noch zu frisch.
Brüste wie Luftballone drohten den Bildschirm zu sprengen. Ohne Ton waren die Bilder der 0190er Werbung noch peinlicher als mit. Wie einsam mußte einer sein, um auf so was hereinzufallen? Allerdings, besonders anspruchsvoll war sein abendlicher Zeitvertreib in Hamburg bisweilen auch nicht gewesen, sagte sich Hannes in einem Anflug von Aufrichtigkeit. Schließlich verfügten die wenigsten Männer über eine Telefonliste abrufbereiter Groupies. Er nahm einen Schluck von dem Mojito, den er sich gerade frisch gemixt hatte. Es war schon der dritte oder vierte, aber er wollte und konnte nicht schlafen. Er hatte Merlin aus Klaras Wohnung geholt. Der Wolf lag auf dem zweiten Sofa und schlief einen unruhigen Schlaf. Hannes zappte sich durch die Programme und schaltete schließlich aus. Er öffnete die Tür zum Garten. Sofort raste Merlin nach draußen. Die ersten Vögel krakeelten, und die Sonne färbte den Himmel apricot.
Was Klara wohl gerade machte? Daß es eine engere Beziehung zwischen Klara und dem Toten gegeben hatte, gefiel ihm nicht. Die Ermittler würden unweigerlich auf Klara stoßen, das war nur eine Frage der Zeit. Allerdings hatte sie recht, das alles war ohne Bedeutung, so lange es keine Leiche
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