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Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11

Titel: Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Unterarm befand sich ein kleiner tätowierter Anker.
    Die Hand rechts war glatt und haarlos und streckte sich aus einer gerippten, schwarzen Manschette hervor.
    Sie trug einen Ring. Silberner Totenschädel, rote Glasaugen.
    Ich trat näher an das Foto heran.
    Und sah Locking.
    Auf dem Boden hinter der Bar.
    In einer Ecke, die Beine gespreizt, Arme schlaff. Die Finger einer Hand leicht nach innen gebogen, die anderen ausgestreckt.
    Blaue Fingernägel, blaue Lippen.
    Der Totenschädelring grinste mich an.
    Sein Kopf war nach hinten gefallen. Der dünne, weiße Körper wurde nur sehr unzulänglich von einem schwarzen Seidenbademantel bedeckt. Der Körper war weiß bis auf die himbeerfarbenen Flecken an den Stellen, wo das Blut erstarrt war, nachdem er aufgehört hatte zu atmen.
    Der Mund stand weit offen.
    Zu Lebzeiten war er blasiert gewesen, doch er hatte diese Welt mit einem verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht verlassen.
    Ein verkrustetes Loch mitten in der hohen Stirn. Blut auf dem Teppich und der Wand dahinter. Blut unter der Leiche.
    Viel Blut; wieso hatte ich das nicht gleich gesehen?
    Die Augen waren halb geschlossen, trocken und stumpf,
wie bei einem Fisch, den man einfach an Land liegen gelassen hat.
    Ich konnte mich selbst atmen hören.
    Plötzlich roch es im Zimmer säuerlich.
    Die Position des Kopfes ließ mich stutzen. Eigentlich hätte er nach vorne sinken müssen.
    Aber er war nach hinten gebogen, lehnte gegen die Wand, als würde er beten.
    Arrangiert?
    Überall um ihn herum lagen noch mehr Polaroid-Fotos.
    Viele Fotos.Wie eine Umrahmung der Leiche.
    Dieselbe Frau, gefesselt und maskiert.
    Aufnahmen, die sich detailliert mit ihren Schenkeln, mit Brust, Bauch und dem darunter befassten.
    Ganzfigurenporträts, die ihren ganzen Körper zeigten, lang und schlank und blass, flach auf dem Rücken auf einem weißbezogenen Bett.
    Die Beine waren an das Fußende gefesselt, die Hüften in die Höhe gereckt, als ob sie einen Reiter abwerfen wollte.
    Aufnahmen von ihr alleine, andere mit denselben zwei Händen.
    Hände, die kniffen, drückten, kneteten, zerrten, eindrangen.
    Gynäkologische Nahaufnahmen.
    Und ein Foto des Gesichts, neben Lockings rechter Hand platziert.
    Ohne die Maske.
    Blondes Haar straff nach hinten aus dem Gesicht gezogen.
    Ein schönes Gesicht, kultiviert.
    Der geöffnete Mund verriet Angst oder Erregung. Oder beides. Die braunen Augen waren weit aufgerissen, blickten wach, konzentriert und abwesend zugleich.

    Selbst derart entblößt waren die Emotionen von Hope Devane nur schwer zu enträtseln.
    Meine Augen wanderten zurück zu Lockings Leiche. Da war noch etwas auf dem Boden.
    Ein Karton. Mit noch mehr Fotos. Hunderte von Fotos. Auf einer Seite eine saubere Beschriftung mit Filzstift.
     
    PROJEKT SELBSTKONTROLLE, PHASE 4, VORU NTERSUCHU NG.
     
    Als Locking den Karton aus Seacrests Haus trug, hatte er sich noch nicht mal die Mühe gemacht, ihn zu schließen, sondern die Fotos lediglich unter einem Stapel Computerausdrucken versteckt. Ein Riesenspaß, den er sich da mit den Bullen erlaubt hatte. Und Seacrest hatte dabei mitgemacht. Er hatte Locking also doch gewarnt.
    Der tätowierte Arm. Mitspieler.
    Ein summendes Geräusch ließ mich zusammenfahren.
    Eine schillernde grüne Fliege war durch die offene Tür hereingeflogen. Sie kreiste durch den Raum, landete auf der Bar, hob wieder ab, schwebte einen Moment über Lockings Leiche, dann setzte sie zum Landeanflug an und ließ sich auf seinem Unterleib nieder.
    Nach kurzer Pause krabbelte sie zu dem leblosen Gesicht hinauf.
    Zu einer blutigen Stelle.
    Dort verweilte sie. Rieb die Vorderbeinchen aneinander.
    Ich machte mich auf die Suche nach einem Telefon.

32
    »Es ist kein Verbrechen«, wiederholte Philip Seacrest.
    Er sagte das im Ton einer Vorlesung vor Studenten, aber Milo war kein Erstsemester.
    Im Verhörraum surrte eine Videokamera auf Automatik, aber Milos Stift war ständig in Bewegung. Ich saß allein in der winzigen Beobachtungskammer, mit kaltem Kaffee vor mir und eingefrorenen Bildern im Kopf.
    »Nein, Professor, das ist es nicht.«
    »Ich erwarte ja nicht, dass Sie es verstehen, aber ich finde, das Privatleben von Menschen sollte genau das bleiben, nämlich privat.«
    Milo hörte auf zu schreiben.
    »Wann hat es angefangen, Professor?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Nein?«
    »Es war nicht meine Idee … ich war nie so veranlagt.«
    »Wer war denn so veranlagt?«
    »Hope. Casey. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wer von beiden

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