Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
weggegangen?«, fragte ich.
»Das geht niemanden was an.«
»O doch. Er hatte ein Verhältnis mit einer Frau, die ermordet
wurde, und er ist ein möglicher Verdächtiger. Je schwieriger es ist, die notwendigen Informationen zu bekommen, desto mehr Leute werden davon erfahren.«
»Soll das eine Drohung sein?«
»Nein, nur eine sachliche Feststellung, Dr. Burwasser. Hat Cruvic irgendetwas getan, weshalb er als Assistenzarzt untragbar war?«
Anstatt zu antworteten, sagte er: »Mord beeindruckt mich nicht. In meinem Alter hat man schon allerhand erlebt.«
»Was hat Cruvic getan?«
»Jedenfalls hat er bei uns niemanden ermordet.«
»Woanders vielleicht?«
»Nein, natürlich nicht - wird dieses Gespräch aufgenommen?«
»Nein.«
»Wäre auch egal, ich erzähle Ihnen nichts Falsches, alles wahr, alles in den Akten.«
»Gut«, sagte ich.
Keine Antwort.
»Was hat er gemacht, Dr. Burwasser?«
»Er hat jemanden bestohlen.«
»Wen?«
»Das werde ich Ihnen nicht erzählen, die Toten haben nämlich ein Recht auf Würde.«
Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. »Er hat einen Leichnam bestohlen?«
»Versucht hat er es.« Er lachte tonlos, als ob er ein Ventil brauchte. »Wir haben den Schweinehund dabei erwischt, wie er versuchte, ein Herz herauszuoperieren. Das Problem war nur, dass der Spender noch nicht ganz tot war.«
»Mein Gott.«
»Werden Sie nicht melodramatisch. Ich habe ja gesagt, es war kein Mord. Der Patient war ein hoffnungsloser Fall. Finales
Koma. Wir wollten die Apparate abstellen und ihn für tot erklären, konnten aber keine nächsten Angehörigen ausfindig machen.«
»Aber das Herz schlug noch.«
»Natürlich, wieso hätte er sich sonst die Mühe machen sollen, es herauszunehmen? Gesund und kräftig. Ein junger Bursche, Schädeltrauma - Motorradunfall. Später stellte sich heraus, es war ein Tourist aus Deutschland. Dieser Idiot hätte einen internationalen Zwischenfall heraufbeschwören können.«
»Für wen wollte er das Herz stehlen?«
»Nicht für wen. Für was. Forschung. Er hatte uns dazu überredet, ihm ein kleines Labor zur Verfügung zu stellen. Er hatte uns erzählt, er wollte Gallenblasen-Resektionen an Hunden durchführen und eine Arbeit darüber schreiben.«
»Und das war gelogen?«, fragte ich.
»Ach, er hatte ein paar Beagles da in der Mache, aber das war nicht der wahre Grund. Der Idiot träumte davon, sich auf Transplantationen zu spezialisieren. Sah sich schon als den nächsten Christian Barnard. Ich habe dem ein Ende gemacht, trotz des Drucks, der auf mich ausgeübt wurde.«
»Druck von wem?«
»Politiker aus Kalifornien.« Das letzte Wort sprach er mit noch mehr Verachtung aus als das erste.
»San Francisco?«
»Ja. Jede Menge Anrufe von schmierigen Typen. Offenbar war sein Vater irgendein hohes Tier. War mir aber egal.Wer so was macht, fliegt.«
»Wie hat man ihn erwischt?«
»Eine Krankenschwester ist zufällig ins Zimmer gekommen. Der Trottel wurde auf frischer Tat ertappt. Mitten in der Nacht. Er hatte ein Chirurgenbesteck neben dem Patientenbett arrangiert und sogar schon den ersten Schnitt gemacht.
Weiß der Geier, wie er damit hat durchkommen wollen. So, das reicht, mehr sage ich nicht.«
Organdiebstahl.
Sterilisierungen ohne rechtmäßige Einwilligung.
Bester Schüler seines Jahrgangs.
Er stellte seine eigenen Regeln auf.Wen wundert’s. Er hatte ja schließlich ständig miterlebt, wie sein Vater viel schlimmere Dinge tat.
Konnte es sein, dass er Jahre später weitere Verbrechen mit dem Skalpell beging?
Welche Rolle hatte Hope dabei gespielt?
Aber eine Frage blieb: Warum waren Hope und Locking getötet worden, und nicht Cruvic?
Trotzdem musste Cruvic im Mittelpunkt der Sache stehen. Barone hatte sich bei Milo gemeldet, weil Cruvic wusste, dass er immer mehr in Bedrängnis geriet.
Hatte er Angst?
Nicht vor der Polizei, sondern um sich selbst. Denn nach dem Mord an Locking wusste er, wer Hope auf dem Gewissen hatte.
Er wusste jetzt, wer es war. Und warum.
Aber warum jetzt und nicht nach Hopes Ermordung?
Und wodurch war Cruvic sozusagen enttarnt worden?
Durch Darrell Ballitsers tätlichen Angriff. Die Berichte in den Nachrichten, die ihn mit Hope in Verbindung brachten.
Hatte so auch der Mörder erstmals von dieser Verbindung erfahren?
Aber wie war das möglich, wenn es wirklich um kriminelle chirurgische Eingriffe ging?
Ich grübelte darüber nach, ohne Ergebnis.
Angenommen, Ballitsers Angriff hatte den Mörder auf Cruvic
Weitere Kostenlose Bücher