Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
Wörterbuch.
Neben dem Computer lagen etliche Kopien eines Artikels, den Devane im Vorjahr in einer psychologischen Fachzeitschrift veröffentlicht hatte. Mitautor: Casey Locking.
Titel: »Selbstkontrolle als Funktion der Geschlechtsidentität«.
Ich las die Zusammenfassung. Bei Verhaltensmaßnahmen keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, beispielsweise um das Nägelkauen zu kontrollieren. Kein Zusammenhang zwischen Erfolg und Ansichten der Versuchspersonen zu geschlechtsspezifischem Rollenverhalten und Gleichheit. In »Wölfe und Schafe« hatte Hope dagegen behauptet, Frauen könnten eher als Männer schlechte Angewohnheiten ablegen, weil Östrogen eine »impulshemmende« Wirkung habe. Einzige Ausnahme sei die zwanghafte Fresssucht, weil der gesellschaftliche Druck bei Frauen ein konfliktbeladenes Bild des eigenen Körpers auslöse.
Während Milo Schubladen aufzog und die Buchrücken in den Regalen studierte, inspizierte ich den übrigen Raum. Zeitschriften und Bücher lagen auf dem Boden verteilt. Ein roter Wollteppich war achtlos über einen Karton geworfen worden, der genauso aussah wie der, den Locking rausgetragen hatte, die gleiche schwarze Beschriftung.
Darin befanden sich weitere Publikationen von Hope. Bei zweien davon wurde Locking als Mitautor genannt. Der Name der anderen Doktorandin, Mary Ann Gonsalvez, erschien nirgendwo.
War Locking ihr Lieblingsstudent gewesen?
Den Transkripten des Ausschusses nach zu urteilen, waren Locking und Hope Seelenverwandte gewesen.
Mehr als das?
Er war jung, intelligent und sah gut aus, wenn man den schwulen Typ von Unterwäsche-Reklame mochte.
Jüngerer Mann, ältere Frau.
Erst hatte ich über Locking und Seacrest nachgedacht, jetzt zog ich eine heterosexuelle Affäre in Erwägung. Sünde im Sinn, Delaware?
Aber das Muster der Wunden ließ auf Sünde schließen - wie die perverse Rache für eine Missetat.
Herz,Vagina. Der Stich in den Rücken.
Das Fieber der Leidenschaft in Verbindung mit eiskalter Planung.
Seacrest schien eher der blutleere Typ zu sein. Hatte er Blut vergossen?
Milo suchte noch ein wenig herum, dann sagte er: »Irgendwas gefunden?«
Ich erzählte ihm von dem Widerspruch zwischen dem Artikel zur Selbstkontrolle und dem Buch.
»Wie du schon sagtest, sie hat manipuliert.« Mit diesen Worten ging er hinaus, und ich folgte ihm in Seacrests Arbeitszimmer.
Auch hier Bücher an den Wänden und mehr oder weniger wahllos hingestellte Möbel, aber alles in makelloser Ordnung.
Wir gingen wieder hinunter.Von Seacrest war nichts zu sehen.
Milo rief: »Professor?«, und Seacrest kam aus der Küche, mit einer Tasse Tee in der Hand.
»Möchten Sie sich sonst noch was ansehen?«
»Wo sind Dr. Devanes Patientenunterlagen und dergleichen?«
»Alles, was nicht hier ist, müsste in ihrem Büro an der Uni sein.«
»Das habe ich schon durchsucht und nichts gefunden.«
»Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
»Hatte sie noch ein externes Büro?«
»Nein.«
»Hat sie hier Patienten empfangen?«
»Nein.«
»Hatte sie überhaupt Patienten?«
»Über ihre Arbeit haben wir nie gesprochen.«
»Ich frage ja nicht nach Details, Professor Seacrest. Ich möchte bloß wissen, ob sie Patienten hatte.«
»Falls ja, hat sie es jedenfalls nie erwähnt. Wir haben nicht über unsere Arbeit gesprochen. Bloß... Forschungsprobleme diskutiert.«
Seacrest berührte seine Tätowierung.
»Navy?«, erkundigte sich Milo.
»Küstenwache.« Seacrest lächelte. »Ein Anfall von schlechtem Geschmack.«
»Wo haben Sie gedient?«
»Auf Catalina Island. Eigentlich war es so was wie Ferien, wenn ich ehrlich bin.«
»Dann stammen Sie aus Kalifornien?«
»Ich bin hier, in diesem Haus, aufgewachsen. Akademikerkind. Mein Vater war Chemieprofessor.«
»Und Hopes?«
»Ihre beiden Eltern sind verstorben. Ebenso wie meine. Wir hatten beide keine Geschwister. Ich bin also der Letzte aus beiden Familien.«
Ich wusste, was Milo dachte: Alleinerbe.
»Was war ihr Vater von Beruf?«, fragte er.
»Seemann bei der Handelsmarine. Er starb, als Hope noch ganz klein war. Sie hat nie viel von ihm erzählt.«
»Und ihre Mutter?«
»Die hat in einem Restaurant gearbeitet.« Seacrest ging zur Tür.
Milo sagte: »Gar nicht so einfach.«
»Was?«
»Ihr berufliches Leben derart voneinander zu trennen. Überhaupt alles so getrennt zu halten.«
Seacrest fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Überhaupt nicht. Sogar ganz im Gegenteil.«
»Sie meinen, es war
Weitere Kostenlose Bücher