Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
weg und fängt an zu weinen. Ich will sie in den Arm nehmen, aber sie stößt mich zurück. Das Weinen wird immer schlimmer und klingt schließlich richtig beängstigend - durchgedreht - hysterisch. Und laut. Hätte bloß noch gefehlt, dass Mrs. G. das hört und hochkommt, am besten gleich mit Sammy. Sammy mag keine Fremden. Deshalb habe ich ihr die Hand auf den Mund gelegt - nicht fest, bloß, damit sie leiser wird, und sie hat versucht, mich zu beißen. Daraufhin stehe ich auf und weiche zurück. Es war mir unerklärlich, erst geht sie mit mir ins Bett, und im nächsten Moment will sie mich umbringen. Und sie hört und hört nicht auf. Schließlich macht sie so ein fauchendes Geräusch, kriecht auf allen vieren zu ihren Sachen, zieht sich an und rennt aus derWohnung, dieTreppe runter. Ich hinterher. Ich habe versucht, rauszufinden, was los ist, aber sie sagt kein Wort und marschiert die Straße hinunter. Und mittlerweile bellt Sam tatsächlich, und bei Mrs. G. geht das Licht an.«
»Ist Mrs. Green herausgekommen?«
»Nein, wir waren ziemlich schnell ein gutes Stück weiter weg. Ich habe gesagt, nun komm schon, es ist spät, ich fahr dich nach Hause, und sie sagt bloß, verpiss dich, ich geh zu Fuß. Dabei sind es von hier fast sechs Meilen bis zum Campus. Aber jedes Mal, wenn ich versucht habe, mit ihr zu reden, hat sie damit gedroht, sie würde die Nachbarschaft zusammenschreien, also habe ich sie schließlich gehen lassen.«
Er atmete tief aus. »Ein Albtraum. Tagelang habe ich darüber nachgedacht, was passiert sein könnte. Die beste Erklärung, die mir einfiel, war, vielleicht war sie früher mal vergewaltigt oder missbraucht worden und hatte eine Art Flashback. Dann flattert mir einen Monat später die Vorladung vor den Ausschuss ins Haus. Das war wie ein Schlag hier rein.«
Er drückte auf seinen Solarplexus. »Später habe ich dann erfahren, ich hätte gar nicht hingehen müssen. Aber der Brief machte einen völlig anderen Eindruck.«
»Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie den Aids-Test machen ließen?«
»Das wissen Sie auch?«
»Von einigen Sitzungen gibt es Mitschriften.«
»Mitschriften? Ach, du Scheiße. Werden die veröffentlicht?«
»Nein, es sei denn, sie wären wichtig für die Aufklärung des Mordes.«
Er rieb sich die Stirn. »Meine Güte … manche behaupten ja, es gäbe gar keine schlechte Publicity, man muss bloß irgendwie Aufsehen erregen. Aber das gilt nur für Leute, die schon oben sind. Ich bin noch ein kleiner Fisch. Es wäre eine Katastrophe für mich, wenn man denkt, ich wäre ein Vergewaltiger oder infiziert.«
»Dann sind Sie also HIV-negativ?«
»Natürlich bin ich das! Seh ich etwa krank aus?«
»Wie geht’s Ihrem Rücken?«
»Meinem Rücken?«
»Mrs. Green hat erzählt, Sie seien krank gewesen.«
»Ach das. Bandscheibenvorfall. War meine eigene Blödheit. Eines Morgens sind mir die Pferde durchgegangen, und ich habe mit den Gewichten übertrieben. Ein Gefühl, als ob mir ein Messer durch den Körper gejagt wird. Eine
Stunde lang habe ich auf dem Boden gelegen und konnte nicht mehr aufstehen. Der Schmerz hat mich einen Monat lahmgelegt, und Mrs. G. ist für mich einkaufen gegangen. Deshalb bringe ich ihr jetzt schon mal was mit, wenn ich kann. Ab und zu tut es auch jetzt noch weh, aber ansonsten bin ich in Topform. Und ich bin absolut, hundertprozentig negativ.«
Ich fragte ihn erneut nach seinen Gefühlen im Hinblick auf den Test.
»Wie ich mich gefühlt habe? Genötigt. Wäre Ihnen das nicht so gegangen? Es war empörend. Ich glaube, bei der Anhörung habe ich gesagt, das Ganze sei kafkaesk. Haben sie die anderen auch gezwungen, sich testen zu lassen?«
»Das darf ich Ihnen leider nicht sagen.«
Er blickte starr. »Sie haben recht - jedenfalls, mehr hatte ich mit Professor Devane nie zu tun. Denken Sie, irgendwas davon könnte in die Zeitungen geraten?«
»Das wird wohl davon abhängen, wer schließlich als Mörder entlarvt wird.«
Er wurde nachdenklich. »Meinen Sie wirklich, ihr Tod steht in irgendeinem Zusammenhang mit dem Ausschuss?«
»Würde Sie das wundern?«
»Aber ja. Die Sache war zwar unangenehm, aber im Grunde hat sie doch keinen Schaden angerichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso jemand deshalb zum Mörder wird. Andererseits, ich kann mir nicht vorstellen, wieso man überhaupt wegen irgendetwas zum Mörder wird.« Er grinste. »Außer vielleicht für eine Superrolle.War ein Witz.«
Er gähnte. »Verzeihung. Wenn Sie sonst keine Fragen
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