Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
sie vielleicht um ihre eigene Sicherheit.«
»Welche Operation?«, fragte Boatwright. »Was ist los?«
»Euer heldenhafter Doktor nimmt illegale Abtreibungen und Sterilisationen vor«, erwiderte Kasanjian.
»Was?«
»Vor sieben Monaten hat Dr. Cruvic bei Ms. Chenise Farney einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt. Es handelte
sich um das Kind meines Mandanten. Aber mein Mandant wurde vorher nicht informiert, und das, obwohl Ms. Farney noch minderjährig ist, womit mein Mandant der einzige volljährige Elternteil gewesen wäre.«
»Volljährig. Das ist doch ein Witz«, sagte Boatwright.
»Aber damit nicht genug«, fuhr Kasanjian fort. »Dr. Cruvic ließ es nicht bei der Abtreibung bewenden: Er hat das Mädchen sterilisiert, ohne es ihr zu sagen. Hat ihr die Eileiter durchtrennt. Eine Minderjährige, nicht entscheidungsberechtigt. Und jetzt werdet ihr staunen: Mr. Ballitser hat mir gesagt, dass Dr. Devane Beratungsgespräche mit Chenise geführt, ihr aber von der Sterilisierung auch nichts gesagt hat. So, und was Ihren Verdacht hinsichtlich des Mordes an Dr. Devane angeht, so muss ich darauf bestehen, dass Sie umgehend Beweise vorlegen, sonst ist die sofortige Freilas -«
Milo schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und sagte zu Boatwright: »Wir müssen mit dem Mädchen reden.«
»Ja, das müssen wir«, sagte Kasanjian.
»Tut mir leid«, sagte Milo. »Eintritt nur für Polizisten.«
Kasanjians Mund arbeitete. Er knöpfte sein Jackett zu. »Detective, falls sie eine potentielle -«
»Nicht heute Nacht, Len«, sagte Boatwright. Es klang, als sagte sie das nicht zum ersten Mal.
Der Anwalt umklammerte seine Aktentasche. »Wie ihr wollt, liebe Leute. Aber wenn ihr riskiert, Ballitser auch nur wegen einer winzigen Kleinigkeit wie versuchter Körperverletzung dranzukriegen, dann nehmen wir sie uns vor.«
Als er ging, fragte Boatwright hinter ihm her: »Du willst den Fall also tatsächlich nicht abgeben?«
»Warum sollte ich?«
Boatwright zuckte die Achseln: »Schön, dass du endlich mal Stehvermögen zeigst.«
Nach zehn Minuten mit Chenise meinte Milo: »Also, Chenise, wusstest du nun, was für einen Eingriff Dr. Cruvic vornehmen würde, oder nicht?«
Das Mädchen schüttelte unglücklich den Kopf. Sie trug eine enge schwarze Jeans, eine rote Rüschenbluse, die den Bauch frei ließ, wuchtige schwarze Stiefel mit roter Sohle und eine rote Schärpe um die Taille. Ihr Make-up war dick und kreideweiß, so wie damals im Wartezimmer, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Sie wirkte benommen, gar nicht mehr so kokett wie im Frauengesundheitszentrum. Die meiste Zeit hatte sie geweint und kaum mehr als ein geschluchztes Ja oder Nein über die Lippen gebracht.
»Hat Darrell es gewusst?«, fragte Milo.
Die Frage ließ sie aufblicken. »Wo ist Darrell?«
»Auf dem Weg ins Gefängnis, Chenise. Er steckt in großen Schwierigkeiten.«
Milo saß neben ihr, die eine Hand auf die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt, die andere flach auf den Tisch. Er beugte sich etwas zu ihr vor, und sie wich zurück.
»Chenise«, sagte er leise. »Ich habe nicht gesagt, du wärst in Schwierigkeiten. Bloß Darrell. Vielleicht kannst du uns helfen. Und ihm auch.«
Sie weinte wieder.
Angela Boatwright trat an sie heran und berührte die knochige Schulter des Mädchens. »Kann ich dir etwas bringen?«
Chenises Mund klappte auf, während sie über das Angebot nachdachte.
»Was zu essen?«, schlug Boatwright vor. »Oder zu trinken?«
»Was Süßes?«, sagte das Mädchen mit dünner Stimme.
»Klar.Was möchtest du denn?«
»Äh … ein Mars?«
»Okay, und wenn wir das nicht haben?«
»Äh … ein Snickers?«
»Also irgendeinen Schokoriegel, was?« Boatwright lächelte, und das Mädchen nickte.
»Bin gleich wieder da.«
Als die Tür sich schloss, lehnte sich Chenise noch weiter von Milo weg. Ihre kleine Gestalt ließ ihn riesig erscheinen. Er schielte zu mir herüber.
Wir warteten, bis Boatwright mit einem Snickers zurückkam.
Das Mädchen nahm es zögernd, riss das Papier an einer Ecke ab und fing an, daran zu knabbern. Dann rieb sie den Riegel über ihre Vorderzähne, die braun wurden, und leckte die Schokolade ab.
»Chenise, wann hast du gemerkt, dass du schwanger warst?«, fragte ich.
Sie zuckte die Achseln und knabberte weiter.
Ich wiederholte meine Frage.
»Keine Periode mehr. Dann musste ich kotzen.« Kichern. »Mom hat gesagt: ›Ach, du Scheiße!‹«
»Und dann ist sie mit dir zu Dr. Cruvic
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