Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
gegangen.«
Nicken. Plötzlich ließ sie den Kopf hängen und legte die Hand auf den Bauch.
Ich beugte mich vor, sprach sehr leise. »Chenise, was hat deine Mutter dir über Dr. Cruvic erzählt?«
Schweigen.
»Hat sie dir irgendwas erzählt?«
Deutliches, langsames Nicken.
»Und was war das?«
»Sie wissen schon«, sagte sie.
Ich lächelte sie an.
»Kannst du es mir sagen, Chenise?«
»Sie wissen schon.«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
Achselzucken. »Wegmachen.«
»Sie hat dir gesagt, Dr. Cruvic würde eine Abtreibung vornehmen.«
»Ja.«
»Hast du vor der Abtreibung noch mit anderen gesprochen?«
Nicken.
»Mit wem?«
»Mit der einen.«
»Wen meinst du?«
»Dr.Vane.«
»Dr. Devane?«
»Jawohl.«
»Was hat Dr. Devane dir gesagt?«
»Gut für mich.«
»Fandest du das auch?«
Keine Antwort.
»Fandest du auch, dass die Abtreibung gut für dich war?«
»Musste ich«, sagte sie mit klarer Stimme. Auch ihre Augen blickten jetzt klar.Wie durch Zorn gereinigt.
»Du musstest denken, es wäre gut für dich?«
Kräftiges Nicken.
»Warum, Chenise?«
»Mom gesagt.«
»Deine Mom hat gesagt, du müsstest -«
»Kapier das doch, du kannst es nicht großziehen, und ich zieh’ deinen Balg auch nicht groß, darauf kannst du Gift nehmen!«
Sie starrte mich trotzig an, dann ließ sie den Kopf sinken und spielte mit dem Snickers-Papier. Wieder legte sie eine Hand auf den Bauch. Das erinnerte mich an etwas... Die
junge Schwarze im Wartezimmer hatte genau die gleiche Haltung eingenommen.
»Dann wusstest du also, dass du eine Abtreibung haben würdest.«
Keine Antwort.
»Cheni -«
»Jawohl.«
»Wusstest du, dass Dr. Cruvic auch noch eine andere Operation durchführen würde?«
Schweigen. Dann ein schwaches Kopfschütteln.
»Hat er eine andere Operation durchgeführt?«
Keine Antwort. Sie stieß den Schokoriegel weg, so dass er vomTisch fiel. Milo hob ihn auf und drehte ihn zwischen seinen dicken Fingern. Angela Boatwright saß mit wachen Augen in der Ecke.
»Chenise?«, sagte ich.
Das Mädchen spielte mit dem Saum ihrer Bluse. Zog sie runter und rauf. Schob die Hand unter den Stoff, fing an, ihren Bauch zu massieren.
»Hat Dr. Cruvic noch etwas anderes mit dir gemacht, Chenise?«
Schweigen.
»Hat Dr. Devane dir gesagt, dass Dr. Cruvic noch etwas anderes machen würde?«
Schweigen.
»Hat Dr. Devane dich gebeten, irgendwas zu unterschreiben?«
Schweigen. Nicken. Sie leckte sich über die Lippen und wischte sie mit dem Handrücken ab. Rutschte auf dem Stuhl zur Seite und kippte den Oberkörper seltsam ab.
»Chenise-«
»Steriliert.« Sie ächzte leise und wippte mit dem Kopf, als lauschte sie ferner Musik.
»Sterilisiert«, sagte ich.
Sie hustete und schniefte.
»Weißt du, was ›sterilisieren‹ bedeutet, Chenise?«
Sie wollte antworten, dann presste sie die Lippen aufeinander. Die Hand rieb weiter über ihren Unterleib, bewegte sich in raschen Kreisen um den Bauchnabel.
»Als du nach der Abtreibung aufgewacht bist«, sagte ich, »hattest du da irgendwo an deinem Körper ein Pflaster?«
Die Hand hielt inne. Kleine Finger gruben sich in den weißen Bauch. Plötzlich schlug sie mit der anderen Hand auf ihr Schambein, hielt es fest.
»Hier«, sagte sie und wölbte das Becken vor.
»Und hier.« Sie stand auf, streckte den Rücken durch und zeigte auf ihren Nabel.
»Ah. Ah«, ächzte sie und drückte fest auf beide Stellen. »Hat wehgetan, wie Sau. Hab’ den ganzen Tag gefurzt!«
»Krämpfe«, sagte Boatwright.
»Wann hast du rausgefunden, dass Dr. Cruvic mehr gemacht hatte als nur die Abtreibung?«
»Später.«
»Wie viel später?«
Achselzucken.
»Wer hat es dir gesagt?«
»Mom.«
»Was hat sie gesagt?«
»Na los, bums rum, so viel du willst, ist egal, wir haben dafür gesorgt, dass du keine Bälger mehr kriegst!«
Die Mascara verschmiert, die Augen brennend vor Zorn: »Die haben mich steriliert!«
Sie starrte zuerst mich an, dann Milo, dann Angela Boatwright. Setzte sich, nahm den Schokoriegel und biss gierig hinein.
Als er aufgegessen war, betrachtete sie wehmütig die Verpackung.
»Noch einen, Chenise?«, fragte Boatwright.
»Antwortung«, sagte das Mädchen.
»Verantwortung?«, sagte ich.
»Für Babys.«
»Babys sind eine große Verantwortung?«
Nicken.
»Wer hat dir das gesagt?«
»Mom. Die da.«
»Wer ist ›die da‹?«
»Dr.Vane.«
»Was bedeutet ›Verantwortung‹, Chenise?«
Sie verzog den Mund. »Pünktlich sein.«
»Sonst noch was?«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher