Woerter durchfluten die Zeit
Kopf.
Nathan legte seine Serviette zur Seite und winkte nach der Bedienung, um zu zahlen.
»Ich lade dich ein«, sagte er knapp, als Lucy ihre Geldbörse zückte. »Und ich werde dich begleiten«, fügte er in einem Ton hinzu, der keine Widerrede duldete.
»Dann können wir nur hoffen, dass Marie noch da ist und erlaubt, dass ich dich ins Archiv schmuggele.« Sie lächelte erleichtert, dankbar dafür, dass er sie nicht allein ließ.
»Dann sollten wir uns beeilen.«
Beim Lesen guter Bücher
wächst die Seele empor.
Voltaire
10. Kapitel
Der Postbote brachte den Brief des Vikars pünktlich am nächsten Tag. Kinder tobten hinter Madame Moulin durch das Haus, wie an jedem Samstagmorgen. Sie würde sie zur Ordnung rufen und ihnen erzählen müssen, dass der Vikar gestorben war. Gestern Abend hatte sie sich nicht stark genug dafür gefühlt.
Während der Postbote ihr den Brief überreichte, stammelte er sein herzliches Beileid hervor.
»Danke schön, George. Ich denke, wir werden ihn alle vermissen«, wiegelte sie ab und nahm den Brief entgegen.
In ihrem Büro angekommen, drehte sie ihn zwischen den Fingern hin und her, ehe sie sich entschloss, ihn zu öffnen. Noch immer konnte sie es nicht fassen, dass Ralph tot sein sollte. Die Kirche und das Dorf ohne ihn erschienen ihr undenkbar. Nie hatte sie darüber nachgedacht, wie es sein würde, wenn er nicht mehr da war. Er war immer Bestandteil ihres Lebens gewesen. Aber nun war er fort.
Es war etwas Hartes in dem Brief, das konnte sie deutlich fühlen. Sie griff nach ihrem Brieföffner und schlitzte ihn vorsichtig auf. Dann sah sie hinein. Zu ihrem Erstaunen fand sie ein zweites, kleineres Kuvert darin. Außerdem erblickte sie einen Zettel. Etwas funkelte sie vom Boden her an. Sie drehte den Umschlag um und kippte seinen Inhalt auf ihren Schreibtisch. Eine goldene Kette mit einem ungewöhnlichen Anhänger fiel heraus. Das Gold war angelaufen, offenbar hatte lange Zeit niemand die Kette in den Händen gehalten. Vorsichtig griff sie nach dem Anhänger, der die Form eines kleinen Buches hatte, und stellte erstaunt fest, dass es sich um ein Medaillon handelte. Eine Gravur und winzige Edelsteine schmückten seine Oberfläche. Es sah wertvoll aus und sehr alt. Sie sah genauer hin. Dann nahm sie ein Taschentuch zur Hand und rieb über die Gravur. Ein ungewöhnlich aussehendes Kreuz kam zum Vorschein. Sie hatte so etwas noch nie gesehen. Die vier Spitzen des Kreuzes waren nicht gerade, sondern endeten in drei kleinen Punkten, die mit Bögen miteinander verbunden waren. Jeder dieser Punkte war mit einem winzigen Edelstein besetzt. Behutsam öffnete sie den Verschluss des Medaillons, gespannt, was sie zu sehen bekommen würde. Es war ein Bild. Ein Bild, wie es gewöhnlich in Medaillons zu finden war. Darauf abgebildet waren ein junger Mann und eine junge Frau. Die Ähnlichkeit mit Lucy war so verblüffend, dass Madame Moulin sofort wusste, wen sie vor sich hatte. Es mussten Lucys Eltern sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Nachdenklich betrachtete sie die lächelnden Gesichter. Sie sahen nicht aus wie Menschen, die ihr Kind im Stich ließen. Was war passiert, das sie zu so einem Schritt gezwungen hatte? Sie hoffte, die Antwort in dem beiliegenden Brief zu finden.
Zuerst griff sie nach dem Zettel und erkannte Ralphs regelmäßige Handschrift. Sie spürte die Tränen, die in ihr aufstiegen, bevor es ihr gelang, ein Taschentuch hervorzuziehen. Sie putzte sich die Nase und las dann die
wenigen, viel zu schnell niedergeschriebenen Worte.
Liebe Madeleine, die Zeit drängt. Ich befürchte, Lucy ist in großer Gefahr. Ich hoffe, der Brief erreicht dich rechtzeitig. Du musst sie warnen. Gib ihr das Medaillon und den beiliegenden Brief. Er wird alles erklären. Öffne ihn nicht. Je weniger du selbst weißt, umso besser ist es für dich. Vergib mir. Dein Ralph
Wieder und wieder starrte sie auf die Zeilen. Was bedeutete dieses » Lucy ist in großer Gefahr«?
Kurz entschlossen stand sie auf und eilte zum Pfarrhaus.
Sie musste mehr herausfinden. Vielleicht konnte sie in Ralphs Arbeitszimmer nachsehen.
Auf ihr Klingeln öffnete Greta die Tür. Es war nicht zu übersehen, dass der Haushälterin der Tod des Vikars sehr naheging.
Greta winkte sie schniefend herein. »Frank ist auch gerade da«, jammerte sie. »Es sieht aus, als wäre es gar kein Unfall gewesen«, platzte es aus ihr heraus.
Madame Moulin erstarrte, noch während sie ihren
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