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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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entzifferte er mühsam. »Canterbury Tales. Das ist es.«
     Er wandte sich Lucy zu und sah, dass ihre Hände auf der Tischplatte zitterten. Die Lippen hatte sie fest aufeinandergepresst. Nathan sah die Angst in ihren Augen.
    »Wir haben es gefunden, Lucy.« Er nahm ihre Hände in seine. »Das Buch ist nicht verschwunden.«
     
    Er wusste es besser, trotzdem wollte er in diesem Augenblick nichts anderes, als sie trösten. Es war keine zwei Monate her, dass er die Ursprungsfassung von Chaucer, das sogenannte Hengwrt-Manuskript, in der walisischen Nationalbibliothek in Aberystwyth in den Händen gehalten und ausgelesen hatte.
    Er fragte sich, woher dieses Gefühl für Lucy rührte. Sie sah hilflos aus. Er sollte ihr sagen, dass er es nur zum Schutz der Bücher tat. Dass sie sich nicht sorgen sollte, dass die Schätze nicht verloren waren. Vielleicht würde sie es verstehen. Vielleicht würde sie ihn sogar in seiner Aufgabe unterstützen. Sie liebten Bücher beide gleichermaßen stark.
    Bevor er sich dazu durchringen konnte, stand Lucy auf.
     
    »Wir sollten nachsehen«, sagte sie und griff nach der Karte. Im Grunde war sie schon in dem Moment sicher gewesen, dass Chaucers Werk verschwunden war, in dem sie die fast völlig ausgelöschte Karte in den Händen gehalten hatte. Mühevoll entzifferte sie die Signatur. Wie nicht anders zu erwarten, lagerte das Buch im hinteren Bereich der Bibliothek.
    Mit schnellen Schritten lief sie in das Labyrinth hinein. Zielstrebig hielt sie auf einen bestimmten Teil des Archivs zu. Ab und zu blieb sie stehen, um sich zu orientieren. Immer wieder verglich sie die Signaturen an den Regalen mit denen auf dem Plan, den sie aus dem Büro mitgenommen hatte. Sie durchquerten mehrere Räume. Es entging ihr nicht, dass Nathan sich oftmals an den Türstürzen, die immer niedriger zu werden schienen, bücken musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen.
    Endlich blieb Lucy stehen und sah sich nach Nathan um. Sie waren vor einem kleinen Raum angelangt, an dessen steinernen Wänden mehrere Bücherregale standen. Lucy machte sich an der Innenseite der Wand zu schaffen.
    »Mist«, murmelte sie. »Der Schalter funktioniert nicht, und ich habe vergessen, die Taschenlampe mitzunehmen.« Sie sah ihn an. »Ich fürchte, wir müssen noch einmal zurück«, erklärte sie. »Es sei denn, du möchtest hier warten.«
    »Ich warte«, erwiderte Nathan gleichmütig. »Oder wäre es dir lieber, wenn ich nicht von deiner Seite weiche.«
    »Die paar Minuten werde ich wohl ohne dich aushalten«, gab Lucy zurück.
    »Sicher?« Nathan sah sie durchdringend an. Lucy nickte, wandte sich ab und verschwand zwischen den Regalen.
     
    Wie machte der Kerl das bloß, fragte sie sich. Er musste sie nur mit diesen nachtschwarzen Augen ansehen, und schon schlug ihr das Herz bis zum Hals.
    Das war ungesund und schließlich hatte sie ganz andere Probleme. Trotzdem war sie froh, dass er bei ihr war.
    Das Wispern setzte so plötzlich ein, dass sie fast erschrak. Es klang aufgeregter als sonst. Lucy lächelte. »Da seid ihr ja«, flüsterte sie.
    »Erinnere dich«, hörte sie die Bücher zurückflüstern. Immer nur diese zwei Worte.
    »Ihr seid keine große Hilfe«, insistierte sie auf dem Rückweg. »Ich habe keine Ahnung, woran ich mich erinnern soll. Ihr müsst mir schon etwas mehr verraten.«
    Wieder bekam sie als Antwort nur diese beiden Worte. Das Flüstern klang heute anders als sonst. Längst nicht so fordernd. Eher ängstlich befand Lucy. Es wurde leiser, je näher Lucy dem kleinen Raum wieder kam. Nathan lehnte an der Wand und hatte seine Hände in der Hosentasche vergaben und seine Schultern zusammengezogen.
    »Es ist auf Dauer ziemlich kalt hier unten«, befand er. »Achtzehn Grad ist nicht gerade anheimelnd. Deshalb habe ich immer zwei Pullover an«, antwortete Lucy.
    »Heute wohl nicht«, erwiderte Nathan lakonisch und sah auf die blaue Bluse, die sie trug.
    »Heute hatte ich auch nicht vor herzukommen.«
    »Dann sollten wir versuchen, uns zu beeilen. Mr. Barnes wäre sicherlich verwundert, wenn er uns beide am Montag hier erfroren entdecken würde. Wenn man uns hier hinten überhaupt finden würde. Er wischte mit dem Finger über eins der Regale. Eine dicke Staubschicht blieb daran hängen. »Ich schätze, hier hinten war seit Jahren niemand mehr.«
    »Da hast du wahrscheinlich recht«, bestätigte Lucy. Sie knipste die Taschenlampe an und tauchte den Raum in mattes Licht. Nicht viel, aber besser als gar nichts.
    Es dauerte

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