Woerter durchfluten die Zeit
einmal angesehen.
Es war ein Desaster. Er konnte es nicht erklären. Aber das Buch, das in der Bibliothek des Bundes lagerte und optisch dem Original glich wie ein Ei dem anderen, schien den Text nicht festhalten zu können. Schlug man es auf, verschwamm die Schrift wie auf der Oberfläche eines stürmischen Meeres. Sie verschwand, tauchte wieder auf und verschwand wieder. Nathan meinte, den körperlichen Schmerz des Buches gefühlt zu haben, während er es in den Händen hielt. Er war sicher, wenn er das Buch hätte verstehen können, dann hätte er es schreien hören. Er musste diesen Fehler beheben.
Dann beugte er sich wieder über das schneeweiße Blatt Papier.
*************
Lucy hätte vor Glück am liebsten ein Liedchen geträllert, wenn sie nicht so unmusikalisch gewesen wäre. So lief sie die Treppe zum Archiv hinunter und strahlte übers ganze Gesicht.
Sie holte den Karton, der »Alice’s Adventures in Wonderland« enthielt, aus dem Regal und schickte ihn nach oben.
Drei Stunden Arbeit lagen vor ihr. Sie griff nach den Büchern, die auf ihrem Bürotisch lagen, und räumte jedes an seinen rechtmäßigen Platz zurück.
Sie würde die Zeit nutzen, um aufzuräumen. In dem kleinen Büro konnte man kaum irgendwo hintreten, ohne über ein Buch zu stolpern.
Während Lucy Bücherstapel durch die Regalreihen schleppte, ihre Papiere sortierte und die Karteikarten ordentlich in den Schrank zurückschob, wisperten die Bücher aufgeregt vor sich hin.
»Ich verstehe euch nicht«, rief sie. »Ihr müsst deutlicher mit mir reden.«
»Philippa. Such Philippa.«
Lucy blieb stehen. »Ich schätze, dass sie längst tot ist, oder? Ich meine, sie hatte ziemlich altmodische Kleider an. Vierzehntes Jahrhundert oder so? Ich kann sie nicht suchen.«
Die Bücher schwiegen und Lucy setzte den Stapel, den sie im Arm hielt, ab. Dann begann sie, die Bände einzuräumen.
»Was ist?«, fragte sie. »Hat es euch die Sprache verschlagen? Wusstet ihr das nicht? Ich könnte sie googeln«, schlug sie vor. »Vielleicht finde ich etwas.«
»Such Philippa«, war die viel zu leise Antwort.
»Ihr seid nicht sehr hilfreich, wisst ihr das?« Trotzdem ging sie in ihr Büro zurück und startete die Internetverbindung ihres altersschwachen Computers. Nach gefühlten drei Minuten erschien endlich das Bild der Suchmaschine auf dem Bildschirm.
»Philippa Guardian«, tippte Lucy ein.
Keines der angezeigten Ergebnisse schien irgendwie zu passen. Lucy überlegte. Sie versuchte, sich zu erinnern, was sie gesehen hatte. Irgendetwas musste zu finden sein. Diese riesige Schlacht, wo hatte sie stattgefunden? Sie brauchte einen Anhaltspunkt. Was genau hatte sie gehört? Das Kind hatte mit seiner Mutter gestritten. Sie wollte fortgehen, wegen eines Bundes. Was konnte das bedeuten? Ob das Medaillon ihr die Bilder noch einmal zeigen würde? Einen Versuch war es wert. Sie beschloss, weiter in das Archiv hineinzugehen. Sie wollte nicht überrascht werden. Man konnte ja nie wissen. Sie zog das Medaillon unter ihrem Pullover hervor und schob ihren Ärmel etwas höher. Das Mal pulsierte bereits. Dann öffnete sie das Medaillon. Wieder strömte das Licht aus ihrem Mal und wickelte sich in glitzernden Fäden um das Schmuckstück. Das helle Licht, das diesem daraufhin entströmte, erschreckte Lucy nicht mehr.
Es dauerte einen Moment, bevor sich die Bilder manifestierten. Auf den ersten Blick konnte sie erkennen, dass es nicht dieselben Bilder waren.
Diesmal sah sie eine junge Frau. Sie mochte vielleicht Mitte zwanzig sein. Wieder trug sie ein mittelalterliches Gewand und einen dicken Mantel, der vorn offen stand. Sie saß auf einem Bett, das von einem hohen Baldachin überspannt wurde. Unruhig knetete sie ihre Finger, während sie offenbar auf etwas wartete. Ein Feuer knisterte laut in einem übergroßen Kamin. Plötzlich knarrte eine Tür und die Frau sah auf. Lucy erkannte die Augen sofort wieder. Ihre Augen. Das musste Philippa sein. Ihr Ausdruck entspannte sich, als sie sah, wer eingetreten war.
Es war ein älterer Mann, der sie traurig ansah. »Ihr seid fest entschlossen, Herrin?«, fragte er.
»Du weißt, dass ich keine Wahl habe«, antwortete sie. »Solange Edmund lebte, hätte ich es nicht übers Herz gebracht, ihn zu verlassen. Aber da er nun tot ist, muss ich mich auf meine Aufgabe besinnen. Sie griff nach einem kleinen Bündel, das neben ihr auf dem Bett lag. Behutsam strich sie das Tuch beiseite. Ein winziges Gesicht kam darunter zum
Weitere Kostenlose Bücher