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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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Sie war sowieso immer da, mit den Tabletten sah ich sie nur nicht. Ich fand es aber schön zu wissen, dass sie da war. Selbst wenn es schlimm war, so war es wenigstens real.
    Nachdem ich meine Mutter in den Nachrichten gesehen hatte, konnte ich also ein paar Tage das Haus nicht verlassen. Und wenn ich das Haus nicht verließ, konnte ich mir auch kein Essen kaufen. Ich musste eben ohne Essen auskommen. Und wenn ich dann irgendwann tatsächlich wieder das Haus verlassen musste, um etwas zu besorgen, würde ich vielleicht vier Pfund, vielleicht sogar noch mehr abgenommen haben. Es lag schon eine ganze Weile zurück, seit ich das letzte Mal so viel Gewicht verloren hatte. Meistens war es hier und da ein Pfund – manchmal, wenn ich einen richtig schlechten Tag hatte, legte ich sogar zu, aber dann sorgte ich dafür, dass ich es recht schnell wieder verlor. Ich redete mir ein, dass mir vielleicht alle zuhören und mich besser behandeln würden, wenn ich schlank und wunderschön zurückkehren würde (falls ich das überhaupt wollte).
    Ich mag diese Wohnung. Sie ist natürlich winzig, aber sie ist möbliert und wurde mir sofort für sechs Monate vermietet. Ich habe mit dem Geld bezahlt, das mir Oma gegeben hat. Niemand hat etwas davon erfahren. Sie hat mir vor ihrem Tod siebentausend Pfund gegeben und mir gesagt, ich solle es auf die Bank bringen und niemandem davon erzählen. In ihrem Testament hatte sie mir noch mehr hinterlassen, aber sie wusste, dass man mir das wegnehmen würde.
    Oma war die Einzige, die mich ohne Wenn und Aber liebte, der einzige Mensch, der meinen Drang nach Perfektion verstand. Sie hat kein einziges Mal zu mir gesagt, ich würde dahinsiechen, wäre zu dünn oder müsse ein wenig zunehmen. Sie sagte kein einziges Mal zu mir, ich sähe hässlich aus, sie sagte aber auch nie, dass ich hübsch wäre. Für sie war ich einfach nur Rachelle. Für sie war ich immer noch dasselbe kleine Mädchen wie damals, als ich in ihrem Garten spielte, ihre Abendkleider und High Heels anzog.
    Immer, wenn ich an Oma oder an die Zeit dachte, die ich bei ihr verbracht hatte, musste ich lächeln. Nur das brachte mich zum Lächeln, sonst nichts.
    Ich wollte wieder laufen. Ich überlegte, früh am Morgen loszulaufen, noch bevor irgendwer aufstand. Als ich noch zur Schule ging, joggte ich sehr gerne, ich mochte das Gefühl, das ich davon bekam, und ich kam gut mit der Sportlehrerin zurecht, besser als mit den anderen doofen Lehrern, die immer nur von Kursarbeiten, Abgabeterminen und Berufsqualifizierung quatschten. Miss Jackson interessierte das alles einen Scheißdreck. Sie mochte mich, weil ich mich nie krankmeldete und ihr immer dabei half, die Turngeräte wegzuräumen. Früher hatte die Schule Fördermittel speziell für Sport, damit die Studenten mit anderen Schulen an Laufwettbewerben teilnehmen konnten. Aber das war inzwischen vorbei. Anscheinend war ich die Einzige, die das störte. Am Ende wurde ich so schlecht, dass ich die Schule verlassen musste, obwohl ich immer noch das Bedürfnis hatte zu rennen. Wer weiß, vielleicht hätte ich mich verbessern können, wenn man mich richtig hätte laufen lassen, wenn ich Krafttraining und Spinning und all die Dinge hätte machen dürfen, die an anderen Schulen möglich waren.
    Doch das Laufen war ein Fehler. Ich bemühte mich zwar, doch meine Beine wollten nicht mehr so wie früher. Es fühlte sich an, als sei mein Körper schon gestorben und warte nur noch darauf, dass ihm der Geist folgte. Und vielleicht bedeutet die schwarze Wolke ja genau das. Vielleicht bedeutet sie den Tod, aber ich hab’s einfach nicht begriffen. So viele von uns laufen in der Weltgeschichte herum, und doch sind wir alle tot, weil in und um uns und überall die schwarze Wolke schwebt.
    Ich war unter der Wolke, und es gab keinen Ausweg, kein Entkommen. Es war, als stecke ich in einem Labyrinth, in dem ich stets die falschen Wege einschlage, die alle in eine Sackgasse führen. Bis auf einen. Ein Weg führt hinaus. Ich muss ihn nur finden.

 
    Colin
    Ein weiterer todlangweiliger Arbeitstag, obwohl es immerhin schon Dienstag ist. Das heißt, heute ist Fitnessabend, was wiederum bedeutet, dass ich heute Nacht vermutlich schlafen kann. Meine Trainingsergebnisse von letzter Woche habe ich pflichtbewusst auf der Fitness-App aufgezeichnet; sie warten darauf, übertroffen zu werden.
    Ich finde es ziemlich beunruhigend, wie viel ich masturbiere. Diese Woche habe ich jede Nacht Stunden damit verbracht. Ich denke,

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