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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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– und ich vermutlich verhaftet. Für das, was ich getan habe, würde man mich für immer wegsperren. Oder? Dabei habe ich diesen Menschen nichts zuleide getan, sondern ihnen nur dabei geholfen, ihre schrecklichen Leben, die sie bis dahin gelebt hatten, hinter sich zu lassen. Im Gegenteil, ich habe sie erlöst. Früher oder später hätten sie sowieso Selbstmord begangen – meine Methode ist aber definitiv angenehmer, weniger schmerzhaft und vermutlich auch sauberer. Ich habe ihnen nicht geschadet, sondern lediglich ihre Gedanken fokussiert und sie zu einer Aktion motiviert, auf die sie sonst vielleicht lange nicht gekommen wären. Und währenddessen hätten sie gelitten, abgewartet und vermutlich noch andere Menschen mit sich in den Abgrund gerissen. Ich hingegen betäube sie, sodass sie, sobald sie ihre Entscheidung gefällt haben, keine Schmerzen mehr empfinden, kein Trauma davontragen und keine Qualen leiden müssen. Es ist perfekt.
    Ich nehme die Zeitung mit nach oben, ziehe mir die Hose aus und hänge sie sorgfältig über denselben Bügel, von dem ich sie heute Morgen genommen habe. Meine Unterwäsche ziehe ich auch aus und werfe sie in den Wäschekorb. Ich schaudere vor Erwartung, breite die Zeitung auf der Seite aus, auf die ich gestern Mittag in der Behindertentoilette gewichst habe, und streiche sie auf dem Bett glatt.
    Ich mache den Fernseher an und drücke den Knopf auf der Fernbedienung des DVD-Players, in dem noch der Porno liegt, den ich mir letztes Wochenende angesehen habe. Irgendein amerikanischer Schund mit zwei dicken Nutten, die wie hungrige Hunde übereinander herfallen. Nach ein paar Sekunden mache ich ihn wieder aus. Das turnt mich nicht an; es lenkt ab. Doch die Zeitung turnt mich an. Diese Gesichter – die lächelnden Gesichter, glücklich bei Hochzeiten, mit anderen Leuten, die in der Vergangenheit einmal zu ihrem Leben gehört und jetzt fein säuberlich daraus entfernt, ordentlich beiseite geschoben worden waren – und dabei wird mein Penis so steif, dass es beinahe wehtut. Er brennt noch immer vom vielen Wichsen, dem ich ihn gestern und vergangene Nacht und die Nacht davor ausgesetzt habe, dennoch ist es ein herrliches Gefühl und eine Erleichterung, ihn wieder anzufassen.
    Als ich wenig später ejakuliere, achte ich darauf, Taschentücher zu benutzen, damit die Zeitung sauber und unbeschadet noch einen weiteren Tag übersteht.

 
    Annabel
    Ich lag im Bett, schlief aber noch nicht, als das Telefon klingelte.
    Ich lauschte in der Stille des Hauses dem Klingeln und fragte mich, wer um alles in der Welt mich um diese Zeit anrief und ob es sich lohnte, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich besaß nur ein Mobilteil, doch das stand unten, denn das Telefon klingelte nicht oft genug, als dass ich einen Anschluss im Schlafzimmer gebraucht hätte.
    Nach dem sechsten Klingeln stieg ich aus dem Bett, schlüpfte in meine Hausschuhe, zog mir den Bademantel über und tappte die Treppe runter. Wahrscheinlich würde es sowieso zu klingeln aufhören, sobald ich meine Hand auf den Hörer legte.
    »Hallo?«
    »Ist da Annabel? Annabel Hayer?« Es war die Stimme eines älteren Mannes, er klang ein wenig unsicher.
    »Am Apparat.«
    »Hier ist Len, ich wohne nebenan. Es geht um Ihre Mom.«
    Einen Augenblick wusste ich nicht, wie ich ihn einordnen sollte. Von nebenan? Nebenan wohnte kein Len. Dann wurde mir klar, wer er war – der alte Mann, der im Nachbarhaus meiner Mutter wohnte und sie bei sich aufgenommen hatte, als sie den Rohrbruch gehabt hatte. Wie hieß noch gleich seine Frau? Carol?
    »Mom? Was ist los? Ich war noch vor ein paar Stunden bei ihr …«
    »Sie ist gestürzt. Der Krankenwagen ist gerade hier; sie wird ins St.-Mary-Krankenhaus gebracht. Ich habe ewig gebraucht, bis ich Ihre Nummer gefunden habe. Sie hätte sie irgendwo gut sichtbar notieren sollen.«
    »Geht es ihr gut?«
    »Ich denke schon. Aber es ist wohl besser, wenn Sie ins Krankenhaus fahren.«
    »Okay, danke.«
    »Ich habe alles abgeschlossen – sie hat mir einen Ersatzschlüssel gegeben. Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Ich legte auf und saß einen Augenblick schweigend und fassungslos da, dann rannen mir heiße Tränen über die Wangen. Ich wusste nicht einmal genau, weshalb ich weinte. »Hör auf damit«, sagte ich laut. »Hör sofort auf damit.« Ich wischte mir mit dem Ärmel des Bademantels über die Wangen, ging wieder nach oben und zog mich an.
    Vor dem Haupteingang des Krankenhauses saßen Leute in Bademänteln in

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