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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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da und war leicht gereizt.
    »Sie war nicht zu Hause«, sagte er mit jungenhafter Begeisterung. »Sie hat mich gar nicht ignoriert; sie war einfach nur ein paar Tage bei ihrer Mutter. Sie sagte, sie hätte es mir erzählt. Ich habe aber ganz offensichtlich nicht zugehört.«
    »Oder du hast es vergessen«, fügte ich hinzu und überlegte, dass er vielleicht in so jungen Jahren bereits an einer Demenz litt.
    »Wie dem auch sei, ich wollte dich nur anrufen und es dir sagen«, sagte er. »Du hättest dir sonst bestimmt Sorgen gemacht.«
    Ich ignorierte seinen sarkastischen Unterton. »Und, hast du einen passenden Ring gefunden?«
    »Ja«, sagte er. »Ich überlege, wann ich ihr am besten den Antrag mache. Was meinst du?«
    Da fragte er ausgerechnet mich. Als hätte ich von so was auch nur die geringste Ahnung.
    »Du könntest ja irgendwo mit ihr hinfahren«, sagte ich. »Übers Wochenende. So was in der Art.«
    »Weston-super-Mare?«, fragte er.
    »Nicht Weston-super-Mare. Irgendwohin, wo es romantisch ist. Paris oder Brügge. Oder vielleicht Rom?«
    »Rom?«, wiederholte er, als hätte ich ihm eine Reise nach Sibirien vorgeschlagen. »Sollte ich mir so was nicht für die Flitterwochen aufheben?«
    »Vaughn, ich muss wirklich los«, sagte ich.
    »Oh, tut mir leid, lieber Freund. Halte ich dich etwa auf?«
    »Ja, eigentlich schon.«
    Er legte auf, ich machte auf dem Weg nach Hause einen Umweg zum Supermarkt und kaufte ein paar Sachen ein. Dann ereignete sich einer jener wunderbaren Zufälle, die mich manchmal zur Überlegung verleiten, ob bei meinen Unternehmungen nicht eine höhere Macht meine Hand führt. Ich kam aus dem Co-op und hatte vor, vor dem Bestattungsunternehmen zu warten, ob ich unter den Trauernden vielleicht jemanden entdeckte, der vielversprechend aussah. Und da war sie – die Frau, die ich bereits am Dienstagabend an der Supermarktkasse gesehen hatte. Vor zwei Tagen hatte sie noch nicht den Eindruck erweckt, als wäre sie so weit, doch jetzt hatte sich das geändert. Während ich dastand und sie beobachtete, ergriff mich ein Gefühl der Zuneigung und Aufregung, das mich sofort davon überzeugte, dass sie die Nächste wäre.
    Sie trug eine schmuddelig braune Umhängetasche aus Leinen quer über der Brust. Die Tasche wirkte schwer. Ich überlegte, warum mir die Tasche plötzlich einen Ruck versetzte, doch dann wurde mir schnell klar, warum. Helen hatte genau dieselbe Tasche besessen. Es war ihre Schultasche gewesen, auf der überall mit Filzstift Unterschriften oder Bilder gekritzelt waren und an der ein kleiner Peace-Button und ein größerer mit der Aufschrift »Free Mandela« geheftet waren.
    Während meines letzten Schuljahres an der Gaviston-Gesamtschule schloss ich so etwas wie Freundschaft mit einem Mädchen. Sie war in der Oberstufe zu uns gekommen, weil man an ihrer vorherigen Schule kein Abitur machen konnte. Während der ganzen Mittelstufe war sie mir kaum aufgefallen. Sie war ein selbstsicheres Mädchen, das ohne Probleme Freunde fand. Sie fand leicht Anschluss, gehörte zu denen, die jedes Wochenende ausgingen und dann die ganze Woche davon erzählten.
    Ich konnte auch ohne solche Komplikationen ganz gut leben.
    An einem Freitag – es war schon dunkel, also muss es im Winter gewesen sein – war ich auf dem Weg von der Schule nach Hause. Auch Helen ging nach Hause und lief ein paar Meter vor mir her. Ich achtete nicht auf sie. Vermutlich, weil sie von einem anderen Mädchen begleitet wurde, das sich dann aber verabschiedete und in eine Seitenstraße abbog. Helen ging weiter, ich verlangsamte ein wenig meinen Schritt, um sie nicht einzuholen.
    Auf dem Hügel überquerte sie die Hauptstraße und nahm dann die Gasse, die hinter dem Jugendzentrum vorbeiführte und dann wieder in die Newarke Street mündete. Die Gasse war nur von einer einzigen Straßenlaterne auf halbem Weg beleuchtet.
    Sie verlangsamte ihr Tempo, was mich ärgerte. Auch ich lief langsamer, weil ich sie nicht einholen wollte, war aber nicht verärgert, weil sie langsamer lief, sondern weil ich aus meinen Gedanken über die Schwierigkeit der Aufrechterhaltung von Resonanzfrequenzen bei minimaler elektrischer Stromzufuhr gerissen wurde.
    Wir hatten bereits etwa ein Viertel der Gasse hinter uns gelassen, als mir klar wurde, dass da jemand vor ihr lief, der ebenfalls seinen Schritt zu verlangsamen schien. Kurz darauf blieb Helen stehen. Sie hielt knapp vor dem Lichtkegel, den die Straßenlaterne auf den Boden warf; tatsächlich

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