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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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Art und Weise, wie Mädchen dastanden oder sich bewegten. Offensichtlich kann man an ihrem Verhalten erkennen, ob sie einen mögen.
    Es war Helens letzter Schultag. Die Prüfungen waren vorbei, sie hatte keinen Grund mehr, dort hinzugehen, sie würde den verbleibenden Sommer faul in der Sonne liegen, shoppen, mit ihren Eltern wegfahren und abends mit ihren Freundinnen ausgehen. Dies war das letzte Mal, dass wir gemeinsam nach Hause gingen. Und meine letzte Chance, um herauszufinden, ob ich mit meiner Vermutung richtiglag.
    »Ruf mich doch an«, sagte sie, als wir so nebeneinander herliefen. »Wir könnten uns mal treffen, weißt du. Wenn du Lust hast.«
    »Oder du rufst mich an«, sagte ich, wusste aber sofort, dass sie es nicht tun würde.
    »Schreib deine Nummer auf meine Schultasche«, sagte sie, kramte nach einem schwarzen Filzstift in ihrer Leinentasche und zog den Deckel mit den Zähnen ab. Mir blieb wohl keine andere Wahl. Auf dem Leinen an der Innenseite der Klappe befand sich ein kleiner leerer Fleck, sie strich ihn mit der Hand glatt, damit ich besser meine Nummer und meinen Namen in Großbuchstaben draufschreiben konnte. Die Tinte wurde vom Leinen aufgesogen, ich fragte mich, ob sie die Nummer überhaupt lesen konnte. Ihr Kopf war dicht an meinem, die Sonne fiel auf ihr Haar. Ich gab ihr den Stift zurück, und wir liefen weiter.
    »Helen«, sagte ich als wir fast am Ende der Gasse angelangt waren.
    »Hm?«, sagte sie und blieb stehen. Sie wirkte müde, ihre Augen waren nur noch halb geöffnet, sie hatte gegen die Sonne schützend eine Hand vor die Augen gelegt und sah mich an.
    Es gab nichts, was ich hätte sagen können, also küsste ich sie. Ich drückte sie sanft an die Ziegelwand und küsste sie. Auch heute weiß ich noch nicht, was ich mir damals erwartet hatte, jedenfalls war ich nicht darauf vorbereitet, dass sie den Kuss erwidern würde. Doch als sie es tat, gab ich ein Geräusch von mir, das sie zusammenzucken ließ, sodass sie mich von sich wegschob.
    »Colin? Alles in Ordnung?«
    Und so küsste ich sie erneut, und auch diesmal fühlte es sich irgendwie unangenehm an. Ich war viel größer als sie und musste meinen Hals in einem seltsamen Winkel verrenken.
    Ich weiß noch, dass ich mich keineswegs beschwingt fühlte, als ich nach Hause ging, sondern eher enttäuscht war.
    Ist das alles?, dachte ich noch. Dieses heiße, schleimige Gefühl, wenn man die Zunge eines anderen an seiner eigenen spürt? Der Geschmack von Pfefferminzkaugummi und dem Bier, das sie getrunken hatte … Ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Abscheu zu zittern.
    Die letzte Prüfung senkte meinen Notenschnitt von einer eins auf eine zwei und verwehrte mir definitiv die Möglichkeit auf einen Studienplatz in Oxbridge. Ich sah Helen nie wieder. Sie rief mich natürlich auch nie an, was mir aber möglicherweise ganz recht war.
    Als ich heute am späten Nachmittag mit der Frau auf dem Platz vor dem Bestattungsunternehmen gesprochen hatte, hatte ich – nur einmal – nach unten auf ihre Tasche geblickt und mich gefragt, ob auf der Innenseite der Klappe mein Name und meine Telefonnummer geschrieben standen.
    Wie dem auch sei – Vaughn hat wieder Kontakt zu Audrey, in seiner kleinen Welt ist also alles in Ordnung. Ich weiß nicht, ob er Audrey tatsächlich einen Antrag machen will. Ich finde es jedenfalls ziemlich amüsant, mir die verschiedensten Situationen dazu vorzustellen und zu überlegen, welche er für diese mutige Tat wählen würde – auf den Knien, im Kino? Beim Schnorcheln? Vor dem Fernseher, beide mit einem Mikrowellengericht auf einem Tablett vor sich?
    Ich bin gehässig. Das Abendessen bei ihnen war absolut in Ordnung; ich freue mich ehrlich für beide, auch wenn Audrey frech mit mir geflirtet hat. Dieses kleine Luder.
    Ich kann es kaum erwarten, die morgige Ausgabe des Briarstone Chronicle zu lesen. Ich habe vor, mir morgen auf dem Weg zur Arbeit eine Ausgabe zu holen und es dann hoffentlich noch pünktlich zur Arbeit zu schaffen, wenn ich sie im Auto gelesen habe. Wahrscheinlich wird die Lektüre sehr – unterhaltsam. Dann muss ich mich natürlich auch um mein neues Projekt kümmern. Ich muss dafür sorgen, dass mich die Zeitung nicht zu sehr ablenkt, damit ich die Transformation der Neuen nicht verpasse.
    Ich frage mich kurz, ob ich zu Audrey eventuell etwas Verkehrtes gesagt habe und sie deshalb beschlossen hat, sich so wie alle anderen zu verhalten. Das war nicht meine Absicht, ganz und gar nicht.

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