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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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Ladegerät zu hängen«, sagte er. »Ich habe mit dir über das Ladegerät gesprochen. Es ist in deiner Tasche. Sobald unser Telefonat beendet ist, steckst du sofort das Handy an. Hast du verstanden?«
    »Ja«, sagte ich. »Das mit dem Handy hast du mir schon gesagt.«
    »Ja«, sagte er. »Du machst das sofort, wenn das Gespräch beendet ist.«
    »Da war aber doch noch was«, sagte ich. »Ich sollte doch noch etwas tun …«
    »Nein«, sagte er. »Es ist alles getan, Annabel. Alles, was du tust, tust du nur, weil du es tun willst. Alles ist in Ordnung. Es geht dir gut. Du bist zu Hause und in Sicherheit.«
    »Ja«, sagte ich. Ich fühlte mich sicher.
    »Ich komme später vorbei, aber mach dir darüber keine Gedanken. Du kannst jetzt schlafen gehen, ich rufe morgen wieder an«, sagte er. »Um sechs Uhr. Hast du verstanden?«
    Dann verabschiedete er sich, und das Telefon lag wieder stumm in meiner Hand. Ich sah es einen Moment lang an. Das war nicht mein Handy. Das war ein kleines, schwarzes Telefon mit einem kleinen Display. Ich sah in meine Tasche und suchte nach meinem alten, klobigen Handy, es war nicht da. Stattdessen fand ich ein Ladegerät. Ich nahm es mit in die Küche und steckte es in eine freie Steckdose neben dem Wasserkessel. Am anderen Ende schloss ich das Handy an. Das Display leuchtete auf und zeigte LADEN an. Ich legte das Handy beiseite.
    Regungslos stand ich in der Küche. An der Hintertür war ein Geräusch zu hören, doch es war ein alltägliches Geräusch, ich blendete es aus. Dann ging ich nach oben und legte mich aufs Bett. Ich hatte noch immer meinen Mantel an. Mir war kuschelig warm, ich fühlte mich sicher und geborgen. Alles war in Ordnung. Ich musste nichts tun. Ich lag still auf meinem Bett und wartete darauf, dass es sechs Uhr wurde.

 
    Colin
    Es ist schon komisch, dass sie genau neben dem Haus wohnt, das ich vor so vielen Monaten besuchte. Die ganze Straße ist wohl voller potenzieller Selbstmörder. Am Ende bringt Elend eben doch wieder Elend hervor – Verzweiflung ist anscheinend ansteckend. Ich sollte vorsichtig sein. Und natürlich war sie es, die Shelley gefunden und mich an jenem Abend zu Tode erschreckt hatte, als ich sie besucht hatte. Ich hatte gehört, wie an der Hintertür das Glas zu Bruch ging und war in den Flur geflüchtet, um durch die Vordertür zu verschwinden. Doch dann hatte irgendetwas mich daran gehindert. Ich habe einen großen Beschützerinstinkt meinen Freunden gegenüber, vor allem, wenn ihre Transformation noch nicht vollständig abgeschlossen ist, und der Gedanke, Shelleys Verwandlung könnte von irgendeinem halbstarken Einbrecher gestört werden, war mir unerträglich. Dann aber hörte ich, wie sie irgendwas rief, »Hallo? Ist da wer?«, oder so etwas in der Art. Jedenfalls blieb ich im Flur stehen. Wer immer sie war, mir war klar gewesen, dass sie das Haus nicht durchsuchen würde. Sie würde bis zum Wohnzimmer und zu Shelley kommen, aber nicht weiter.
    Ich war von dem Gedanken fasziniert zu beobachten, wie jemand anderes auf Shelleys Verwesung reagierte. Ich weiß schließlich, dass ich etwas anders bin, aber es bestand ja die Möglichkeit, dass auch andere die Schönheit des Prozesses so wie ich wahrnehmen, und wer weiß, vielleicht hatte ich ja jemanden gefunden, mit dem ich das teilen konnte. Oder aber es würde dem Ganzen eine neue voyeuristisch-erotische Dimension verleihen.
    Sie war so wunderbar ruhig geblieben. Hatte nicht geschrien, sich nicht übergeben oder abgewandt. Durch einen Spalt in der Tür zum Flur sah ich, wie sie dastand und Shelley mit gelassenem Gesichtsausdruck lange ansah. Nur ihr schneller Atem verriet, wie schockiert sie war.
    Ich hatte sie im Supermarkt natürlich nicht erkannt – doch ich finde es wunderbar, dass sie die Nächste ist. Ich liebe Symmetrie. Ihr dabei zuzusehen, wie sie geht, nachdem sie Zeugin des Verfalls der anderen geworden war, hat fast etwas Poetisches.

 
    Annabel
    Ich öffnete die Augen und fühlte mich nicht allein.
    Es war dunkel im Zimmer, doch nach einer Weile hatten sich meine Augen daran gewöhnt, und ich hörte ein Atmen, das nicht von mir stammte.
    Ich hob den Kopf. Es kostete mich eine gewisse Anstrengung, als wäre er aus Eisen und mein Nacken ein Gummiband.
    Neben der Tür saß ein Mann auf einem Stuhl. Er beobachtete mich. Das orangefarbene Licht, das durch das Fester fiel, beleuchtete sein Gesicht. Er lächelte mich an, ich fühlte mich sicher und geborgen, weil ich wusste, dass er mein

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