Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Nilsonne
Vom Netzwerk:
Mariams Bruder wollte sich energisch anhören, klang aber nur ängstlich.
    Tigist antwortete überraschend:
    »Das sehen Sie doch selbst - die haben Angst.«
    Die Frauen nickten verlegen. So war das.
    Monika versuchte zu verstehen. Der Zabagna verschwand immer wieder von seiner Arbeit. Niemand wagte, seinen Arbeitgeber zu informieren. Die Tatsache, dass er am Ufer eines Sees lebte, den niemand auch nur mit Namen nann te, machte Angst, sogar bei Tigist. Unbegreiflich.
    Was sie verstehen konnte, war, dass der Zabagna Theo ge troffen haben musste. Dass er seither nicht wiedergesehen worden war. Dass das nicht so bedrohlich sein musste, wie es aussehen konnte - der Zabagna war offenbar jemand, der häufiger verschwand. Oder der jedenfalls nach Hause zu seinem See fuhr, wenn er bei der Arbeit sein müsste.
    Es war immerhin klar, wen sie jetzt suchen mussten. Der Zabagna wusste vielleicht, was Theo aus Mariams Schlaf zimmer geholt hatte und wo dieser steckte, vielleicht wa ren sie zusammen.
    »Hat er Telefon in Debre Zeit?«, fragte Tigist.
    Das hatte er nicht. Sie wandte sich an Monika.
    »Wir müssen wohl nach Debre Zeit fahren und ihn dort suchen. Wir brauchen nur eine Stunde für die Fahrt.«
    Tigist notierte Namen und Adresse des Zabagna und frag te nach einem Foto.
    Mariams Bruder fasste die Frage als Befehl auf. Er schien salutieren zu wollen, entschied sich im letzten Moment aber dagegen. Er lief aus dem Zimmer und kehrte gleich darauf mit einem Foto zurück, das er Tigist mit einer Ver beugung überreichte.
    Monika beugte sich über Tigists Schulter.
    Dort war das Tor, das der Zabagna öffnen und schlie ßen sollte. Daran lehnte ein Mann mittleren Alters, als ob es ihm gehörte. Er schaute mit einem dunklen Auge in die Kamera. Sein zweites Auge leuchtete in seinem dunklen, neutralen Gesicht milchweiß.
    Man brauchte nicht abergläubisch zu sein, um sich un angenehm berührt zu fühlen.
    Tigist packte den Stier bei den Hörnern.
    »Was ist mit seinem Auge passiert?«
    Ierusalem antwortete leise:
    »Dr. Mariam sagt, das sei eine Krankheit. Er selbst sagt, er habe ein Auge, mit dem er diese Welt, und eines, mit dem er die andere Welt sehen kann.«
    Sie schauderte zusammen. Monika konnte sehen, wie die Angst ihr über die Haut lief wie eine kleine Welle aus Gän sehaut. Ierusalem schien jedenfalls mehr an die Erklärung des Zabagna zu glauben als an die von Mariam.

Debre Zeit
    Im Wagen, auf dem Weg nach Debre Zeit, häuften sich die Fragen in Monikas Kopf. Die, die sie zuerst äußerte, bezog sich auf Zabagnas ganz allgemein.
    »Was bewachen alle diese Zabagnas? Braucht ihr wirk lich einen Wächter für jedes Haus? Zwei Nachbarn könn ten sich doch einen teilen, wenn der nur einige Male am Tag ein Tor öffnen muss.«
    Tigist hob die Augenbrauen.
    »Aber dann wäre doch die Hälfte aller Zabagnas arbeits los und könnte ihren Kindern nichts zu essen geben. Wa rum sollen die Reichen nicht teilen?«
    Monika kam sich vor, als ob sie sich an einer extremen Yogaposition versuchte.
    »Soll das heißen, dass die Leute einen Zabagna bezah len, den sie eigentlich gar nicht brauchen, nur damit er versorgt ist?«
    »Gott will, dass wir an andere denken, nicht nur an uns selbst.«
    Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Monika:
    »In Schweden hat fast niemand Dienstboten.«
    »Woher wisst ihr dann, was in den Familien geredet wird?«
    »Das wissen wir nicht. Wir fragen. Die Leute lügen.«
    Tigist überlegte und fragte dann:
    »Wer putzt und kocht?«
    »Das tun wir selbst.«
    Jetzt schien Tigist gewaltig mit ihren vielen Fragen zu rin gen. Am Ende wollte sie wissen:
    »Warum wollen die Reichen bei euch den Armen die Ar beit wegnehmen?«
    Die Yogastellung wurde noch schwieriger.
    »Wir teilen auf andere Weise. Wir bezahlen dem Staat Geld, und der gibt es dann denen, die keine Arbeit haben.«
    »Ohne dass sie arbeiten?«
    Die Yogastellung wurde unmöglich.
    »Das ist zu kompliziert, um es zu erklären.«
    Tigist nickte. Das konnte sie verstehen.
    Sie schwiegen eine Weile. Dann fragte Monika:
    »Was hat es auf sich mit diesem See, an dem der Zabagna wohnt?«
    Tigist runzelte die Stirn, ihre Hände hoben sich zu einer abwehrenden Bewegung.
    »Du wirst lachen, es hängt mit unserem Volksglauben zusammen …«
    »Bei Mariams Bruder hat niemand gelacht. Stattdessen hatten alle Angst.«
    Tigist nickte.
    »Es gibt einen See in Debre Zeit - einen tiefen See, der unten in einem Berg liegt. Einem Vulkan.«
    »Einem gefährlichen

Weitere Kostenlose Bücher