Wofuer es sich zu sterben lohnt
lachte ihr entwaffnendstes Lächeln.
»Doch, das soll es heißen. Dass ich, dass wir … in sei ner Wohnung endeten, einer seiner Wohnungen, die er für Frauen wie mich reserviert hatte. Solche, die nicht gese hen werden sollen. Es war eng und ziemlich schmutzig. Es war überhaupt nicht schön. Er war sicher enttäuscht. Das war ich auch, wenn ich die Wahrheit sagen soll. Man soll te doch meinen, dass Männer, die so viele Frauen haben, davon etwas lernten. Nein, gib mir einen Mann, der lange mit einer Frau gelebt hat, die er liebt, dann zeige ich dir ei nen, der weiß, wie man es macht.«
»Aber … ist es denn kein seltsames Gefühl, den Mord an einem Mann aufzuklären, den du … so gut gekannt hast«, endete Monika lahm.
»Durchaus nicht. Den haben doch viele von uns auf die se Weise gekannt.«
»Aber konntest du ihn denn gar nicht leiden?«
»Warum hätte ich das tun sollen? Er hat ja nur von sich geredet.«
»Warum bist du mit ihm gegangen?«
Tigist überraschte sie mit ihrer Antwort:
»Aus Neugier.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich war jung und wusste es nicht besser. Er sagte immer, das Ding in seiner Hose sei legendär. Aber in Wirklichkeit hatte er da das Gleiche wie alle anderen, nur vielleicht ein bisschen schlaffer …«
Tigist kicherte bei dieser Erinnerung. »Er war langweilig, eitel und ichbezogen.«
»Hat es dich überrascht, dass er erschossen worden ist?«
»Natürlich hat mich das überrascht, auch wenn Salomon ein Mann mit vielen Feinden war …«
Ihre Stimme verstummte, sie verlor sich einen Moment in Gedanken, dann rief sie:
»Und wer kommt schon auf die Idee, im Foyer des Hil ton mitten in einer Menschenmenge jemanden zu erschie ßen?«
Monika hatte keine Antwort.
»Wir haben nach eifersüchtigen Ehemännern gesucht. Wir haben nach Menschen gesucht, denen Salomons Re portagen geschadet hatten. Wir haben vor allem nach Mariam und Theo gesucht. Wir haben nichts gefunden. Nichts.«
Sie schlug auf das Bett. Eine kleine Staubwolke wirbelte in die abgestandene Luft hoch.
»Aber das war damals. Jetzt ist jetzt. Jetzt werden wir Theo finden.«
Monika fragte sich, wie das passieren sollte. Soviel sie se hen konnte, war die Spur schon wieder am Ende. Sie wuss ten nicht, was Theo gesucht und vermutlich gefunden hat te. Sie wussten nicht, wo er jetzt war.
Tigist schien das keine Sorgen zu machen. Ganz anders als die Gesichter, die sie im Wohnzimmer vorfanden. Die jungen Polizisten traten von einem Fuß auf den anderen und schienen sich gar nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen.
»Also, was den Zabagna angeht … der muss Theo gestern hineingelassen haben …«
»Ja?«
»Er ist verschwunden. Seit Ierusalem und Sara gestern um fünf zum Einkaufen gegangen sind, hat ihn niemand mehr gesehen.«
»Das wissen wir bereits«, sagte Tigist ungeduldig.
»Er wohnt in Debre Zeit.«
Nach einer kleinen Pause fügte der junge Polizist hin zu:
»Er hat ein Haus gleich am … am See …«
Er wand sich, konnte den Satz nicht beenden.
»An welchem See?« Tigists Geduld schien jetzt wirklich am Ende.
Das Schweigen im Zimmer war so total, dass von drau ßen eine Menge kleiner Geräusche zu hören war. Eine Hen ne rief nach ihren Küken, ein Wagen fuhr in der Nachbar schaft an, irgendjemand sagte auf dem Hinterhof leise et was.
Mariams Bruder saß steif und unbehaglich auf dem Sofa. Ierusalem wandte sich mit undurchdringlicher Miene ab. Die beiden jungen Mädchen hielten einander fest an den Händen.
Plötzlich weiteten Tigists Augen sich, als sehe sie etwas Bedrohliches, das für die anderen unsichtbar war.
»Nicht … doch nicht an dem See?«
Mariams Bruder nickte düster.
»Doch.«
»Wohnt er da?«
»Er ist dort aufgewachsen. Er kennt alle. Alle.«
Monika bekam es mit der Angst zu tun, sie wusste je doch nicht, warum. Angst steckt an, etwas hatte den an deren Furcht eingejagt, und ihr eigenes Herz schlug jetzt schneller.
Tigist fragte ungläubig:
»Wie konnten Sie so jemanden einstellen?«
Die Antwort kam von Ierusalem:
»Mariam sieht das nicht so eng. Sie sagt, das sei alles nur alter Aberglaube.«
Mariams Bruder nickte langsam, wie um zu sagen, so un vorsichtig sei seine Schwester eben. So naiv.
»Und Sie glauben, dass er nach Debre Zeit zurückgefah ren ist?«, fragte Tigist.
Vier Köpfe nickten in unregelmäßigem Takt, und Ierusa lem sagte leise:
»Er fährt oft hin. An bestimmten Tagen muss man op fern, dann ist er immer da.«
»Warum hat mir das niemand erzählt?«
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