Wofuer es sich zu sterben lohnt
Lederkleidung, wie ein Overall, wie Leute sie eben anhaben, wenn sie Motorrad fahren.«
»Den habe ich gesehen. Er hat ins Gebüsch geschaut.«
»Du meinst, da, wo später Juri gefunden worden ist?«
»Ja, er hat geschaut, dann ist er gegangen.«
»Er ist nicht hineingegangen?«
»Nein.«
»Hätte er Juri erstechen können, während du ihn gese hen hast?«
»Nein. Ich hab ihn die ganze Zeit gesehen, Sie wissen schon.«
»Bist du da sicher?«
»Ja.«
»Hast du noch andere gesehen?«
»Nein. Niemand.«
»Farida, wir müssen zusammen hingehen, du und ich. Du musst mir zeigen, wo du warst und wie du gegangen bist. Dann kannst du dich vielleicht leichter erinnern. Auf irgendeine Weise ist Juri doch ins Gebüsch zurückgelau fen.«
»Ich hab nichts gesehen, aber ich hab was gehört.«
»Was denn?«
»Sie wissen schon, ich wollte sehen, was sie auf dem Spielplatz machten. Dann hab ich Theo gesehen. Wir ha ben hallo gesagt, ich hab gesagt, dass er mich nicht verraten dürfte. Dann bin ich zurückgegangen, und dann hab ich Stimmen von innen gehört, aus den Bäumen heraus.«
»Was hast du gehört?«
»Ich dachte, die knutschen, wissen Sie, deshalb durf te ich doch nicht auf das Fest. Jetzt weiß ich aber nicht mehr …«
Sie klang bedrückt, so, als habe sie sich darüber schon viele Gedanken gemacht.
»Erzähl, Farida, erzähl genau, was du gehört hast.«
»Sie sagte: ›Leg dich hin, dann kümmere ich mich um dich.‹ Ich dachte, die knutschen, und da bin ich wieder ge gangen.«
Jetzt schien Farida mit den Tränen zu kämpfen.
»Bist du ganz sicher, dass sie das gesagt hat?«
Farida schluchzte auf.
»Ja. Leg dich hin, hat sie gesagt … hat sie Juri umge bracht? Wie konnte sie das tun, der war doch stark, wissen Sie, wahnsinnig stark …«
Monika sah es vor sich. Die Stimme, die durch das Di ckicht drang. Farida konnte sehr dicht dabei gewesen sein, trotzdem aber unsichtbar. Und was wäre passiert, wenn die Person mit dem Messer Farida gesehen hätte? Ihr schau derte.
»Farida! Denk genau nach. Bist du ganz sicher, dass es eine Frau war?«
»Ja …«
»Hast du die Stimme erkannt?«
»Nein. Die war leise, wissen Sie, leise.«
»Danke, Farida. Das reicht für den Moment. Du soll test das jemandem erzählen, der dir ein bisschen helfen kann.«
»Der Schulpsychologin«, wollte sie schon sagen, aber dann fiel ihr ein, dass das eine schlechte Idee wäre. »Kannst du mit deiner Mutter sprechen, oder hast du eine große Schwester oder eine Verwandte, zu der du Vertrauen hast?«
Farida schluchzte wieder auf und murmelte etwas von einer Tante.
Jede Ermittlung hat ihre Opfer, dachte Monika - Men schen, denen die Arbeit der Polizei schadet, die ins Unglück geraten, obwohl sie unschuldig sind. Sie hatte das unange nehme Gefühl, dass Farida gerade so ein Opfer war.
Sie ließ sich im Sessel zurücksinken und schloss die Au gen.
Konnte die Kette solche unvorhergesehenen Glieder auf weisen?
Hatte jemand Juri gefunden, ihn mit dem Messer im Rü cken gefunden und ihn dann dazu gebracht, ins Gebüsch zurückzukehren und sich auf den unebenen Boden zu le gen?
Hatte diese Person den Messergriff gepackt, die Messer spitze vom Schulterblatt gelöst und dann in aller Ruhe ge zielt, während Juri auf dem Boden lag? Hatte diese Person das Messer mit aller Kraft hineinstoßen können, ohne dass Juri sich losgerissen hatte?
Dann fiel es ihr ein. Er hatte ja bäuchlings und mit den Armen unter dem Kopf dagelegen.
War er so zurechtgelegt worden, mit für die Verteidi gung unbrauchbaren Armen, von einer Frau, die mit lei ser Stimme gesagt hatte: »Leg dich hin, ich kümmere mich um dich«?
Sie kam der Lösung näher, das spürte sie. Sie kam sich vor wie die Regisseurin eines Theaterstücks. Sie probierte ein Szenario nach dem anderen aus und näherte sich einer zu sammenhängenden Erzählung. Aber die Hauptrolle wurde weiterhin von einer Schattengestalt gespielt.
Sie hoffte inständig, dass Bosse nicht auftauchen und sie in ihrer Konzentration stören würde.
Als sie mit ihren Gedanken nicht weiterkam, las sie die restlichen Unterlagen, die die Gerichtsmedizin geschickt hatte.
Ein Name aus einem Krankenbericht löste in ihrem Ge hirn eine kleine Suchaktion aus. Auf diesen Namen war sie doch schon einmal gestoßen?
Als ihr einfiel, wo, legte sie den Ausdruck auf den Tisch.
Helenas Großmutter. Die Frau, an die sie als »Helenas Großmutter« dachte, hatte einen Namen - sie hieß Gre ta Wallin.
Greta Wallin
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