Wofuer es sich zu sterben lohnt
hatte am Freitag, Juris letztem Lebenstag, eine Eintragung in einen Krankenbericht vorgenommen. Sie hatte ihn darüber informiert, dass er möglicherweise HIV positiv war.
Das klang nach einem argen Dilemma - wie geht eine Großmutter in einer solchen Situation mit dem Freund ih rer Enkelin um?
Warum hatte sie den Freund ihrer Enkelin überhaupt vor gelassen? Und warum war der Freund in einer Situation, in der die meisten möglichst anonym sein wollen, zu einer Bekannten gegangen?
Es gab nur zwei akzeptable Antworten - die eine war, dass Juri und Greta sich so gut verstanden, dass sie sich zu dieser Vorgehensweise entschieden hatten. Die andere war, dass Greta Juri nie zuvor begegnet war.
Monika las den Krankenbericht. Unter »derzeitige Bezie hungen« stand: keine.
Das hätte Greta nicht geschrieben, wenn sie gewusst hät te, dass Helena und Juri ein Paar waren.
Monika kniff die Augen zusammen, während ihre Ge danken sich immer mehr beschleunigten.
Greta Wallin hatte ihre Enkelin adoptiert, die kleine He lena, deren Mutter an Hepatitis gestorben war.
Greta Wallin hatte das Fest frühzeitig verlassen.
Monikas Herz schlug immer schneller, als könne die Jagd jeden Moment beginnen. Sie hatte vielleicht das Glied ge funden, das die Kette zusammenbinden könnte, die ver schiedenen Teile dieses Falles.
Sie versuchte es:
Juri stellt fest, dass ihm ein Messer im Rücken steckt. Er läuft los, er braucht Hilfe. Er stößt auf eine Frau, die er zu letzt in einem weißen Kittel im Krankenhaus gesehen hat. Würde er ihr Vertrauen schenken? Würde er mit ihr zurück ins Dickicht gehen? Würde er sich vertrauensvoll auf den Boden legen, betrogen wie das Einhorn mit dem Kopf im Schoß der Jungfrau?
Ich werde mich um dich kümmern … will man nicht gerade diese Worte hören, wenn die Not am größten ist, und kann sie größer sein, als wenn man ein Messer im Rü cken hat?
Hatte Greta improvisiert? Hatte sie seine Hand genom men und ihn ins Dickicht geführt, wo niemand sie sehen konnte? Hatte sie ihr Knie gegen seinen Rücken gestemmt und das Messer gelöst? Hatte sie dann mit geübten Fingern die richtige Stelle gesucht, das Messer verdreht und ihr Ge wicht genutzt, um es tief in seinen Körper zu bohren? Dann war sie ein gewaltiges Risiko eingegangen. Sie hätte jeden Moment entdeckt werden können.
Sie musste an diesem Abend Helena und Juri zusam men gesehen haben. Reichte das, um einen Mord zu bege hen? Monika wusste, wie unbeantwortbar diese Frage war. Manchmal reichte ein zu provozierender Blick, manchmal eine Handvoll Geld.
Ihre Gedanken wanderten zu Greta Wallin zurück.
Konnte Greta in diesem Moment für einen anderen Men schen eine Gefahr darstellen? Nein.
Bestand irgendein Risiko, dass sie floh? Nein.
Dann reichte es, sie am nächsten Tag zur Vernehmung zu bitten, genauer gesagt, sie jetzt anzurufen und sie für den nächsten Tag, den Freitag, herzubestellen.
Das war kein Problem, sie war zu Hause. Monika erklär te, sie hätte noch einige Fragen, und sie verabredeten sich für neun Uhr.
Monika lächelte vor sich hin. Ein hypothetisches Szena rio war wie ein Samenkatalog - die Wirklichkeit fiel nur selten aus wie erwartet. Es würde sehr, sehr spannend sein zu hören, was Greta zu sagen hatte.
Derweil saß der blauäugige Mörder mit scheinbar braunen Augen in der U Bahn. Er hatte sich den Stockholmer Stadt plan genau angesehen und wusste, dass die U Bahn nicht nur unter der Erde verlief, sondern auch unter dem Wasser. Das wirkte unnatürlich, und er fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut.
Aber jetzt wollte er sich in Alby umsehen.
Lagman Lekares väg, das war eine Adresse. Diesmal wa ren ihm keine detaillierten Anweisungen mit auf den Weg gegeben worden, er sollte nach eigener Einschätzung vor gehen. Das schätzte er. Was ihm nicht gefiel, war, dass al les schnell gehen musste. Schnell bedeutete oft schlecht, in seiner Welt wie in den meisten anderen.
Er musste sehen, was er tun konnte. Er wusste, wo sie wohnte, aber nicht, wie sie aussah. Er hatte keine Schuss waffe. Die kaufte er immer vor Ort, und hier war er noch nicht dazu gekommen, aber meistens war auch keine nö tig.
Er hoffte, dass die U Bahn den enormen Wassermassen standhalten könnte, die von oben auf sie drückten.
Die U Bahn schaukelte hin und her, sie war abgenutzt und nicht gerade sauber, was seine Meinung über die so genannte westliche Welt bestätigte - die war zweifelsohne auf dem absteigenden Ast.
Später am
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