Wofuer es sich zu sterben lohnt
niemand diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, so mussten jedenfalls die jungen Polizisten gewusst ha ben, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass einige von den Befragten genau wussten, was passiert war. Dass je mand log, und wenn nicht, um sein Leben zu retten, dann doch, um sich die nächsten zehn Jahre in Freiheit zu si chern.
Niemand von den Befragten hatte ein gutes Wort über Juri sagen können. Einige schienen noch immer Angst da vor zu haben, über ihn zu sprechen, obwohl er tot war. Das Bild war immer dasselbe. Bei einigen Gelegenheiten war er so gewalttätig gewesen, dass die meisten danach aus purem Selbsterhaltungstrieb nachgegeben hatten. Ein Junge hatte berichtet, dass Juri Mädchen an die Brüste fasste und den Jungen dann ansah, wie um zu sagen: »Daran kannst du mich nicht hindern!« Das Schlimmste war, hatte der Junge dann hinzugefügt, dass das stimmte. Es war beschämend und quälend, aber so war es. Er hatte nicht gewagt, Juri he rauszufordern, niemand hatte das gewagt. Und jetzt hatte irgendwer offenbar genug gehabt, und darüber war dieser Junge froh.
Er konnte das sagen, ohne Verdacht zu erwecken, denn er hatte nach dem Essen im Aufenthaltsraum der Tagesstätte gesessen und für einige Freunde Gitarre gespielt, bis eine Mutter ihnen gesagt hatte, dass Juri tot war.
Den Gitarrenspieler, der Calle hieß, und sein aus drei Mädchen und zwei Jungen bestehendes Publikum konn te Monika also vergessen. Drei Mädchen und eine Mutter, die die Küche nicht verlassen hatten, konnte sie auch zur Seite legen. Eine Mutter und ein Vater hatten ununterbro chen eng getanzt, die anderen waren zwischen den Räumen hin und her gelaufen. Die Aussagen waren verwirrend, die Zeitangaben stimmten nicht überein, falls sich nicht etli che Anwesende geteilt und sich an zwei verschiedenen Or ten gleichzeitig aufgehalten hatten.
Das Ganze sah aus wie ein Spitzendeckchen - viel Luft und wenig Greifbares.
Etliche Gäste hatten zudem das Fest schon verlassen, als der Mord entdeckt wurde, und hatten nicht vernommen werden können, aber immerhin waren die Dienstanwärter gescheit genug gewesen, deren Namen zu notieren.
Jetzt hatte Monika die ersten Beiträge zum Bericht über Juris letzte Lebensstunden. Er war unerwartet und aus nahmsweise einmal allein gegen zehn Uhr in der Tages stätte aufgetaucht. Er war zu seiner Freundin Helena gegan gen, die auf einer Wippe saß, hatte sie auf die Füße gezo gen und war dann weiter zu einem Jungen aus der Klasse gegangen, der Theo hieß. Monika hatte ihn auf dem Klas senfoto gesehen - ein großer schlaksiger Junge mit brauner Haut und großen Augen in einem schmalen Gesicht. Die beiden schienen sich wegen irgendwelcher Schlüssel ge stritten zu haben. Theo war wütend geworden, aber noch war nichts passiert. Juri und Helena waren weitergegangen und hinter dem Haus verschwunden. Sie hatten eine klei ne Gruppe rauchender Eltern passiert, die versucht hatten, sich hinter dem Haus außer Sichtweite aufzustellen. Die se Eltern sagten, Juri und Helena hätten nicht miteinander gesprochen, sie seien schweigend vorbeigegangen, Helena mit den Händen in den Taschen, Juri den Arm um Hele na gelegt. Als sie zu den Wippen zurückgekommen waren, hatte Helena sich wieder gesetzt, und Juri war auf den Aus gang zugeschlendert.
Dann war er um die Ecke gebogen, und danach hatte niemand ihn gesehen. Niemand konnte genau sagen, zu welchem Zeitpunkt er aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
Die einzige klare Zeitangabe in der ganzen Geschichte war der Moment, als Vivi und Jonatan nach dem Leichen fund angerannt gekommen waren. Der ehemalige Kran kenwagenfahrer hatte aus alter Gewohnheit Notizen ge macht, sowie er begriffen hatte, dass etwas Schwerwiegen des passiert war. Um 22.44 waren Vivi und Jonatan ange rannt gekommen. Sie hatten kaum mehr als eine Minu te vom Wäldchen aus gebraucht, deshalb mussten sie den Leichnam um 22.42 gefunden haben. Gegen zehn Uhr war Juri munter und lebendig vor der Tagesstätte gesehen wor den, weshalb sie sich über höchstens eine Dreiviertelstun de ein Bild machen mussten.
Das klang richtig erhebend - es dürfte doch nicht un möglich sein, dieses Puzzlespiel zu lösen!
Sie mussten noch einmal mit Schülern, Lehrern und El tern reden. Sie mussten sich in der Nachbarschaft erkun digen. In Stockholm wimmelt es nur so von Hunden - es wäre doch nicht zu viel verlangt, dass einige zwischen zehn und Viertel vor elf ausgeführt worden waren? War das nicht genau die
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