Wofuer es sich zu sterben lohnt
interessant.«
Daga liebte Verbrechen, bei denen Leidenschaft eine Rol le spielte. Sie fand, Morde müssten zutiefst persönlich sein. Am liebsten sollten sie von den düsteren Seiten der Liebe verursacht werden. Sie war immer von Neuem enttäuscht oder fast beleidigt, wenn Morde sich nur als ungewöhnlich drastische Form von Diebstahl oder Raubüberfall entpupp ten. Sehr viel aufmerksamer fragte sie:
»Was sagt diese Freundin?«
»Mit der haben wir noch nicht sprechen können. Ihre Klassenkameraden schildern sie als hübsch. Die Hübscheste nicht nur in der Klasse, sondern auf der ganzen Schule.«
»Das sagen sie also. Stimmt das?«
»Schwer zu sagen, ich bin ihr ja noch nicht begegnet, aber auf dem Klassenfoto sieht sie aus wie Barbie mit kur zen Haaren.«
»Könnte es also ein Eifersuchtsdrama sein?«
Jetzt sah Daga richtig aufgemuntert aus, an diesem öden Tag Ende Mai, wo die meisten nur wünschten, dass endlich irgendwann der Urlaub anfinge.
»Wir sollten vielleicht doch versuchen, Kontakt zu dem Jungen aufzunehmen.« Sie zupfte sich am Pony, der im mer noch dringend geschnitten werden musste. »Monika, du kennst dich in Äthiopien doch ein bisschen aus, kannst du nicht feststellen, ob die Kollegen da unten uns helfen können? Sie können doch mit ihm sprechen, sich anhören, was er zu sagen hat?«
Daga war bekannt für ihre rhetorischen Fragen. Diese Frage deutete Monika als Befehl.
Bei der Vorstellung wurde ihr schwindlig. Sich an die äthiopische Polizei wenden? An wen? Wie?
»Wer?«, fragte sie. »Und wie?«
»Irgendjemand hat immer Kontakte. Irgendjemand hat zusammen mit einem Kollegen aus Äthiopien einen Kurs besucht oder war auf demselben Kongress.«
Das klang beunruhigend wenig konkret. Und außerdem unwahrscheinlich - sie konnte sich nicht daran erinnern, auf den wenigen Polizeikongressen, die sie besucht hatte, auch nur einen einzigen Äthiopier gesehen zu haben.
»Wen soll ich denn fragen?«, erkundigte sie sich.
»Das weiß ich nicht. Frag einfach mal rum. Es ist bloß immer so wahnsinnig kompliziert - ganz zu schweigen da von, wie langsam das geht - wenn wir den Dienstweg neh men müssen. … Aber kümmer dich bitte darum.«
»Das werde ich versuchen.«
Der Dienstweg wurde oft vermieden. Die Polizei in vielen Ländern bezeichnete sich gern als eine einzige große Fami lie. Oft teilten sie ihre Skepsis gegen offizielle Papiere, ge gen Stempel und gegen lange Entscheidungsfristen. Sie ar beiteten lieber stillschweigend zusammen und halfen sich gegenseitig, wann immer sie konnten. Aber Äthiopien?
Sie hatte dort unten patrouillierende Kollegen gesehen, manche waren mit einem Stab bewaffnet gewesen wie japa nische Krieger, andere trugen automatische Waffen. Gehör ten sie zu der großen Familie? Warum stellte sie sich diese Frage? Warum sollten sie nicht dazugehören?
Aber wie in aller Welt sollte sie jemanden finden kön nen, der über brauchbare Kontakte verfügte? Da wäre es schon leichter mit der Nadel im Heuhaufen, da wusste man immerhin, dass etwas vorhanden war, das man fin den konnte.
Plötzlich fiel ihr eine Mail der Polizeileitung ein, die an alle Polizisten im ganzen Bezirk gegangen war. Wenn sie diese Mailingliste benutzte, könnte sie sie innerhalb weni ger Minuten allesamt erreichen. So wollte sie vorgehen.
Sie setzte sich an ihren Computer und schrieb:
HILFE!
Brauche Polizeikontakt in Äthiopien.
Antwort baldmöglichst an Monika Pedersen
Das erschien ihr nicht gerade professionell. Sie löschte die Zeilen und machte noch einen Versuch
KONTAKT ZUR POLIZEI IN ÄTHIOPIEN
Hat hier irgendjemand Kontakt zu äthiopischen Kolle gen? Brauche Hilfe von da unten.
Monika Pedersen
Besser, aber noch immer nicht gut.
HAST DU KONTAKT ZU EINEM ÄTHIOPISCHEN KOLLEGEN?
Dann wende dich an Monika Pedersen.
So klang das doch schon ziemlich gut. Bereits in der Betreff zeile wusste der Empfänger genau, worum es ihr ging, des halb brauchte niemand eine überflüssige Mail zu öffnen. Wer dort unten Kontakte hatte, würde vermutlich antwor ten. Nicht schlecht. Sie drückte auf »senden« und ließ sich im Sessel zurücksinken. Jetzt konnte sie nur das Beste hof fen, was immer das sein würde.
Sie wünschte, sie hätte schon am Freitag mit Theo ge sprochen. Jetzt hatte sie keine Vorstellung davon, was er für einer war. Sie wusste nicht, wie er auf einem Stuhl saß, wie sein Blick jemand anderem begegnete und wie er sei ne Worte wählte. Dagegen war
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