Wofuer es sich zu sterben lohnt
einen halben Meter hoch zu sein, das war aber schwer zu entscheiden, da alles verschwommen war.
Erst beim Publikum hinter der Bühne wurde das Bild scharf. Dort hatte sich eine Handvoll Personen versammelt, meistens Männer mittleren Alters. Hinter ihnen waren ei nige junge Frauen in kurzen Röcken und Stöckelschuhen zu sehen. Das mussten die Bewerberinnen sein, und jetzt standen drei im Mittelpunkt, während das spärliche Pub likum hinter ihnen so verschwamm, dass es am Ende gar nicht mehr auszumachen war.
Der Kameramann experimentierte mit der Schärfe. Am Ende war zum ersten Mal eine Gestalt im Vordergrund deutlich zu sehen. Die Missbewerberinnen waren zu Farb tupfern im Hintergrund geworden. Das hier war ein Mo derator, der wusste, wie man die Konkurrenz um die Auf merksamkeit der Zuschauer gewinnt.
Das war also Salomon, der Mann, der einen spektaku lären öffentlichen Tod gestorben war. Er war groß und schlank, ein Anzug war grau und elegant, das Hemd grau rosa gestreift. Jetzt lächelte er selbstsicher in die Kamera.
So ein Lächeln sieht man nur bei den richtig schönen Menschen oder bei solchen, die so hässlich sind, dass ih nen einfach alles egal ist, dachte Monika.
Der Mann im Scheinwerferlicht gehörte der ersten Ka tegorie an. Er war bestimmt ein Moderator mit Groupies, wenn es derlei in Äthiopien gab. Ein Moderator, der Briefe mit Sex und Eheangeboten bekommt. Der sie bekommen hat, korrigierte sie sich. Er war ja tot. Gleich würde er vor ihren eigenen Augen sterben, und er wusste nichts davon, dass ihm nur noch so entsetzlich wenig Zeit blieb.
»Ich werde«, erklärte er, »mit der jungen Dame, die auf dem dritten Platz landet, hier stehen.«
Er zog die nächststehende junge Frau zu sich heran. Plötzlich waren beide scharf zu sehen, sie mit einem brei ten, starren Lächeln, er entspannt und guter Laune.
Monika versuchte zu erkennen, was hinter ihm vor sich ging. Einzelne Gesichter wie unterschiedlich gefärbte Fle cken, so unscharf, dass sie einfach unidentifizierbar waren. Dann erlosch das Licht im Saal, und alles wurde dunkel.
Nach einigen langen Sekunden leuchtete ein Scheinwer fer auf und zeigte Salomons Füße - seine Schuhe waren ta dellos geputzt, er stand aufrecht, offenbar war er noch nicht erschossen worden.
Natürlich nicht. Niemand schießt ja wohl auf ein un sichtbares Ziel.
Der Scheinwerfer wurde korrigiert, so dass Salomon ganz zu sehen war, zwei weitere wurden eingeschaltet. Jetzt be herrschten Salomon und die Frau den Saal, es gab keinen anderen Blickfang mehr.
Salomon sagte: »Danach holen wir das arme Mädchen, das fast gewon nen hätte. Sie steht dann auf meiner anderen Seite, und es gibt eine Fanfare für sie.«
Er zog die größte junge Frau dicht an sich heran und leg te den Arm um sie.
Der nächste Scheinwerfer traf auch nicht richtig. Er zeig te zuerst den Schädel eines fast glatzköpfigen Trompeters, dann wurde er so eingestellt, dass ein junger Schlagzeuger, der sich über seine Trommeln krümmte, ebenfalls zu sehen war. Die beiden starteten fast gleichzeitig ein Crescendo.
In diesem Augenblick gaben Salomons Knie nach.
Monika schnappte nach Luft. Solche Szenen hatte sie im Fernsehen oder Kino tausendfach gesehen, aber das hier war real, ein wirklicher Mord, obwohl die junge Frau so schön und die Aufnahme von so hoher Qualität war, trotz der Scheinwerfer und der Klangeffekte.
Salomons Körper sank in sich zusammen. Die junge Frau versuchte, ihn festzuhalten, schaffte das aber nicht und ging langsam mit ihm zu Boden.
Monika fragte sich nun schon, ob die Kugel vielleicht das falsche Opfer getroffen haben könnte. Es gab ja wirklich ge nug Leute, die einen Mord begingen, um die Aufmerksam keit der Zeitungen auf sich zu lenken. Wirklich jedermann konnte erschossen werden, damit irgendeine Gruppe ihre Botschaft in die Medien brächte. Eine Miss Kandidatin war sicher keine schlechte Wahl für jemanden, der sich größt mögliche Publizität wünschte.
Die Frau hatte soeben den wachsenden roten Fleck auf Salomons Brust entdeckt.
»Er ist verwundet! Er ist erschossen worden!«
Sie saß ganz still auf dem Podium, drückte Salomon an sich und wartete. Der Trompeter verstummte abrupt. Der Schlagzeuger lieferte noch einige letzte Schläge, die die Stil le hervorhoben.
Im Hotelfoyer wurden die Lampen eingeschaltet, Sicher heitsangestellte stürzten mit gezogenen Waffen dazu, eine Frau schrie. Schließlich stieg ein dicklicher Mann mittleren Alters langsam
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