Wofuer es sich zu sterben lohnt
auf die Bühne, Er kniete neben Salomon nieder, fühlte am Hals den Puls und schüttelte den Kopf.
Tigist schlug mit den Fäusten auf den Tisch.
»Das ist doch zum Durchdrehen! Wir haben Hunderte von Stunden auf diesen Fall verwandt. Es geht einfach nicht an, dass jemand einen Menschen erschießt und dann spur los verschwindet!«
Monika nickte. Da konnte sie nur zustimmen.
»Woher ist der Schuss gekommen?«
Tigist zog einen großen Bogen Papier aus ihrer Handta sche und faltete ihn auf dem Tisch auseinander.
»Sieh mal her. Hier ist das Hotelfoyer. Hier sind alle An wesenden als kleine Kreise und mit ihren Namen einge zeichnet. Der Schuss kam von hier.« Ihr schmaler Zeigefin ger landete zwischen zwei Kreisen. »Da standen dein Theo und seine Mutter, ehe die Lichter ausgingen. Sie standen noch immer da, als die Lichter wieder eingeschaltet wur den. Ich habe mir die Videos so oft angesehen, dass ich sie auswendig kenne, ich habe jedes Foto kommen lassen, das an diesem Abend aufgenommen worden ist.
Wir wissen nicht, wer im Dunklen wo gestanden hat. Die Mordwaffe, eine schäbige alte Makarow, wurde hier gefunden, unter einem kleinen neu aufgebauten Pavil lon. Die Frau, die dort saß und in Tracht Kaffee ausschenk te, hatte nichts gehört, nichts bemerkt. Wir haben mit al len gesprochen, die sich in der Nähe aufgehalten haben. Nichts. Es war dunkel. Der Tontechniker hatte die Einstel lung falsch eingeschätzt, deshalb hätte das Schlagzeug fast alle im ganzen Hotel taub gemacht. Die Waffe hatte einen Schalldämpfer.«
»Weißt du«, sagte Monika nachdenklich, »in Stockholm war es genauso. Ein junger Mann wurde auf einem Fest er stochen. Wir haben mit einer ganzen Schulklasse inklusi ve Theo, mit den Eltern und den Lehrern dieser Klasse ge sprochen. Niemand hatte etwas gesehen, niemand hatte etwas gehört.«
Monika sah sich noch einmal Tigists Zeichnung an. Sie konnte keinen Namen entziffern, denn Tigist hatte in Fi däl geschrieben, der äthiopischen Schrift, aber sie konnte sich daran erinnern, wo Mariam und Theo gestanden hat ten. Hätte von dort aus jemand, unbemerkt von Theo und Mariam, Salomon erschießen können? Oder hatte Mariam ihren Liebhaber umgebracht, und wenn ja, wusste Theo, was seine Mutter getan hatte? Oder hatte Theo Salomon er schossen, und wenn ja, wusste Mariam darüber Bescheid?
Als wären Monikas Gedanken klar und deutlich zu hö ren gewesen, sagte Tigist:
»Ja, so viele unbeantwortete Fragen …«
Dann erzählte sie weiter, munter und mit wie voller Hoff nung erhobenen Händen:
»Aber morgen werden wir deinen Theo suchen. Wir wer den mit seiner Tante sprechen. Wir werden zum Haus sei ner Mutter fahren. Das wird jetzt von einem Bruder der Mutter bewohnt. Wenn wir ihn nicht selbst finden, dann werden wir wieder öffentlich nach ihm fahnden, und dies mal wird das sicher leichter sein. Wo wir doch wissen, dass er hier ist. Wir werden ihn finden. Endlich werden wir eine Antwort bekommen.«
Monika musste einfach fragen: »Aber das hier ist ein riesengroßes Land. Es muss doch leicht sein, hier zu verschwinden, unter siebzig Millionen Menschen!«
»Warum denkst du das?«, fragte Tigist überrascht und fügte leicht verletzt hinzu. »Glaubst du, wir passen auf un sere Bürger nicht auf? Glaubst du, wir wissen nicht, wer sie sind und wo sie wohnen? Dafür brauchst du keine Mas sen von Computern. Es ist hier wirklich sehr schwer zu verschwinden, ganz anders als in vielen anderen afrikani schen Ländern.«
»Verzeihung.« Das war offenbar ein wunder Punkt, aber was die anderen afrikanischen Länder damit zu tun haben sollten, konnte Monika nicht so recht verstehen. »Es ist nur so, dass es uns gar nicht leichtfällt, unsere neun Millionen im Blick zu behalten.«
Tigist lächelte mitfühlend.
»Es gibt immer aalglatte Leute, aber sowie sie irgendwo wohnen, werden sie registriert. Wir werden ihn finden.«
Monika hoffte, dass Tigist wusste, was sie sagte.
»Jetzt gehen wir auf die Hotelterrasse und trinken eine Tasse Kaffee«, schlug Tigist vor.
Das war eine gute Idee. Die Fragen türmten sich nur so aufeinander. Als sie die Treppe hochstieg, bekam Monika wieder keine Luft. Sie versuchte, nicht zu keuchen - es war wahnsinnig mühsam, die Kondition einer Neunzigjährigen zu haben, nur weil die Luft so ungewohnt dünn war. Sie hätte gern gewusst, wie lange ihr Körper brauchen würde, um sich daran zu gewöhnen.
Als sie Platz genommen und bestellt hatten, fragte sie: »Was hast du
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