Wofür schlägt dein Herz?
seinen despotischen Vater erinnerte. Entsetzt über sich selbst, war er daraufhin Hals über Kopf geflohen.
In der Rückschau hätte Alex es genauso gemacht. Zu befürchten, sich vom großen Bruder, zu dem sie alle aufgeschaut hatten, in ein Monster wie ihren Vater zu verwandeln, musste ein wahrer Albtraum für Jacob gewesen sein.
Sie alle hatten auf die eine oder andere Art Narben davongetragen und mussten sich immer noch mit ihrer finsteren Vergangenheit auseinandersetzen, aber keiner schlimmer als Annabelle. Doch während Jacob versucht hatte, sie zu schützen, war er es gewesen, der seine wunderschöne Zwillingsschwester – wenn auch nicht vorsätzlich – der Willkür und Brutalität des Vaters ausgeliefert hatte …
Es lag alles so weit in der Vergangenheit, und doch kehrten die schrecklichen Erinnerungen plötzlich mit Macht zurück. Alex schaffte es weder, ihnen zu entfliehen, noch sie zu verharmlosen. Wahrscheinlich lag es daran, dass er durch seinen Unfall zu viel Zeit zum Grübeln hatte.
„Was halten Sie davon, mir ein paar Surfstunden zu geben?“, fragte er betont munter. „Vielleicht ist es genau das, was mein unausgelasteter Körper momentan braucht.“
Mit gesenktem Blick faltete Libby ihre Serviette zusammen und legte sie beiseite. „In Sydney gibt es jede Menge professionelle Surflehrer, an die Sie sich wenden können.“
„Ich dachte mehr an Spaß“, präzisierte Alex.
„Wir haben alle Hände voll mit unseren täglichen Übungen zu tun“, wich sie aus.
„Ja, aber nachdem ich von Ihren Surfabenteuern gehört habe, beschleicht mich langsam das Gefühl, etwas ganz Wesentliches in meinem Leben verpasst zu haben.“ Alex erschien es unmöglich, sich von jemand anderem als Libby ins Surfparadies einführen zu lassen. Außerdem konnte er sich auch niemanden vorstellen, den er lieber im Bikini gesehen hätte. Oder ohne …
Die bequemen langen weißen Hosen, die sie während der Therapiestunden trug, waren nicht besonders schmeichelhaft. Ebenso wenig wie die locker sitzende Trainingsjacke. Dabei ließen ihre Konturen, die sich unter dem dünnen Stoff abzeichneten, einen durchaus atemberaubenden Körper erahnen. Doch langsam hatte er es satt, sich allein mit Vermutungen und Spekulationen zufriedenzugeben. Was konnten ein paar heiße Shorts oder ein knappes Tank-Top bei der zumeist tropischen Hitze schon schaden?
Nach dem heutigen Tag wollte er unbedingt mehr von Libby sehen. Und wenn sein Instinkt ihn nicht täuschte, erging es ihr nicht anders.
Beschwingt orderte Alex die Rechnung und geleitete Libby anschließend hinaus. Unter dem Namensschild des Restaurants, das auf der Außenwand prangte, blieb er stehen. „Malaysian Pearl“, murmelte er versonnen. „Als Wassernixe würden Sie bestimmt Perlen als Ihren Lieblingsschmuck wählen, oder?“
Sie hob die Schultern. „Ich kann mit Schmuck wenig anfangen.“
Zweifelnd sah Alex sie an. „Ich dachte jede Frau wäre bereit, für Diamanten ihr Leben zu lassen.“
„Diese nicht“, kam es spröde zurück. Da er schwieg, glaubte Libby, ihm eine Erklärung zu schulden. „Wenn überhaupt, würden mir Perlen wahrscheinlich tatsächlich am ehesten gefallen, aber ich bin mehr der praktische Typ. Mir reicht eine Uhr.“ Sie hob ihm ihr Handgelenk entgegen, und Alex betrachtete ernsthaft den schlichten Chronometer.
Eine sportliche Uhr ohne Schnickschnack. Absolut nicht damenhaft.
Während sie in die Limousine stiegen, betrachtete er unauffällig Libbys schlanke, unberingte Hand. Dass sie in den Therapiestunden auf Schmuck verzichtete, war verständlich, aber auch in ihrem Büro? Dass sie nicht verlobt war, wusste er aus Elis Recherche. Aber gab es vielleicht jemanden, dem ihr Herz gehörte und mit dem sie sich regelmäßig traf?
Er spürte ein seltsames Ziehen im Magen und rieb unbehaglich sein Kinn.
Warum nicht? Was ging es ihn überhaupt an? Libby Henderson war eine ausgesprochen attraktive, hochintelligente Frau, die einem Mann sehr viel zu bieten hatte. Außerdem … wenn es tatsächlich jemanden im Hintergrund gab, wäre ihr ständiges Widerstreben immerhin verständlicher.
Aber warum hatte sie dann heute seine Einladung zum Lunch angenommen? Mach dich nicht lächerlich, alter Junge, gab er sich gleich darauf selbst die Antwort. Immerhin bin ich ein wichtiger Klient, den sie nicht unnötig verärgern will. Und eine große Chance, um die Einladung abzulehnen, hatte er Libby wirklich nicht gelassen.
Insgeheim fluchte er lautlos.
Weitere Kostenlose Bücher