Wofür stehst Du?
als dieser Mann, einer der herausragenden und auch fähigsten Wirtschaftsführer in Deutschland, sich an die erste größere unternehmerische Leistung seines Lebens erinnerte. Im Salon seines Hauses prasselte das Kaminfeuer, ein schwerer Rotwein begleitete die Erzählung.
Er war Anfang zwanzig und bereitete sich auf seine Promotion vor, als ein Professor, der nebenbei ein florierendes Marktforschungsinstitut betrieb, versuchte, ihn für einen Job zu gewinnen. Der junge Mann war zunächst skeptisch. Er fürchtete, sich in der Wirtschaft furchtbar zu langweilen. Der Professor aber versprach, ihm diese Angst schnell nehmen zu können.
Bald darauf trafen sie sich mit ihrem ersten Kunden, einem großen Tierfutterhersteller, der ein kleines Problem hatte, wie ein aufgeplusterter PR-Mensch mit französischem Akzent den beiden erläuterte: Das Unternehmen hielt 80 Prozent Marktanteil, wollte aber seinen Absatz deutlich erhöhen.
Nun ist ein solch hoher Marktanteil in der Regel nicht mehr zu steigern; der junge Mann war also ratlos. Sein Professor aber zeigte auf ihn und sagte dem PR-Menschen: »Der Herr hier wird Ihnen ein Proposal ausarbeiten.«
Der junge Wissenschaftler lernte schnell. Er versuchte, die Aufgabe »logisch« anzugehen. Das ging so: Ein so großes, marktbeherrschendes Unternehmen wie der Tierfutterhersteller kann seinen Umsatz nur erhöhen, wenn es entweder die Preise anhebt – oder wenn der Markt selbst wächst, die Nachfrage nach Hundefutter also steigt. Diese Nachfrage wiederum steigt nur, wenn sich mehr Menschen für die Anschaffung eines Hundes entscheiden, und zwar am besten eines großen Hundes, weil der besonders viel frisst. Die Bundesrepublik hatte damals, zu Beginn der Achtzigerjahre, eine der geringsten Hunde-Dichten in ganz Westeuropa.
»Damit«, sagte der Manager, »war der Logikbaum für mich komplett.«
»Was haben Sie getan?«
»Ganz einfach: Ich machte mich auf die Suche nach wissenschaftlichen Studien, die die Vorzüge der Hundehaltung unter Beweis stellten.«
Er verschwand für längere Zeit in den Bibliotheken von Göttingen und Münster und stellte fest, dass es viel brauchbares Material gab: Die therapeutische Wirkung von Hunden auf kranke Kinder zum Beispiel war eindeutig belegt. Ebenso positiv war ihr Einfluss auf Rentner und Menschen mit Herz- und Kreislauferkrankungen; die Angehörigen beider Gruppen fühlten sich merklich gesünder, wenn sie einen Hund hatten, schon allein deswegen, weil sie zu mehr und regelmäßiger Bewegung gezwungen wurden. Auch Patienten mit hohem Blutdruck ging es besser, wenn sie regelmäßig einen Hund streichelten – vorausgesetzt natürlich, dass es kein Pitbull war.
Der junge Mann fasste die Erkenntnisse akribisch zusammen, und bald darauf erschien, allerdings unter dem Namen seines Professors, erst eine Studie, dann ein Buch. Dieses Buch hatte unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nur einen kleinen Makel: Es betonte auffallend oft die heilsame Wirkung von großen Hunden, ein Befund, den die Quellen so nicht ganz hergaben.
Der PR-Mensch des Tierfutterherstellers war begeistert. Anderthalb Jahre fütterte er Journalisten mit den Informationen aus dem Buch. Manche Tageszeitungen druckten ganze Serien zum Thema, Kliniken initiierten Pilotprojekte mit Patienten. Das Ergebnis der Kampagne war messbar. Zwar nahm der Marktanteil des Auftraggebers, wie erwartet, nicht weiter zu, wohl aber der Umsatz. Denn die Deutschen kauften plötzlich mehr Hunde, vor allem große und sehr große Hunde.
»Das klingt wie aus einer Filmkomödie von Helmut Dietl!«
»So etwas passiert in der Wirtschaft täglich, da könnte ich Ihnen noch ganz andere Geschichten erzählen!«
Sein Professor hatte zuvor schon großes Aufsehen mit zwei Studien erregt, geschrieben natürlich im Auftrag großer Unternehmen. In der einen ging es um die Körperhygiene der Deutschen, in der anderen um die psychologische Wirkung von Brillen.
Eine Geschichte erzählte er noch. Sie spielt zu einer späteren Zeit, als der Manager für einen großen Medikamentenhersteller arbeitete. Ein Vorgesetzter gab ihm den Auftrag, ein ganz neues Mittel zu entwickeln,vielleicht für eine Krankheit, von der noch niemand wisse, dass es sie überhaupt gibt. Der Manager verstand zunächst nicht, was man von ihm wollte. »Denken Sie doch mal nach«, sagte der Vorgesetzte zu ihm. »Kennen Sie nicht auch Menschen, die in geschlossenen Räumen oder in engen Fahrstühlen plötzlich so ein mulmiges Gefühl
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