Wofür stehst Du?
dass du ein so großes Auto fährst? Solltest du diesen Joghurtbecher nicht auswaschen und in denKunststoffmüll tun, statt ihn achtlos in den Hausmüll zu werfen? Musst du an diesem Wochenende schon wieder Ski fahren gehen, obwohl doch die Umweltfreundlichkeit des Skisports so infrage steht?
Und jedes Mal flüstere ich zurück, meine ganz privaten Rechtfertigungen: Ja, ich fahre ein großes Auto, aber wir sitzen fast immer zu viert darin; und noch nie in meinem Leben habe ich eine Flugreise nach Thailand, auf die Malediven oder in die Dominikanische Republik unternommen, da sehe ich doch mit meinem CO2-Fußabdruck nicht sooo schlecht aus. Außerdem habe ich keinen Hund. Schon ein mittelgroßer Hund, schreiben Robert und Brenda Vale in Time To Eat The Dog? , habe aufgrund seines Fleischverzehrs einen beinahe doppelt so hohen ökologischen Fußabdruck wie ein Toyota Land Cruiser , also bitte, warum diskutiert man immer über SUVs, nie über Hunde? Und wenn ich den Joghurtbecher auswasche, wie viel Wasser verbrauche ich denn da, und ist es da nicht besser, ihn einfach wegzuwerfen, so viel Joghurt esse ich doch sowieso nicht, und außerdem ist es immer Joghurt aus Bayern, der hat es nicht so weit auf meinen Tisch. Soll ich mit den Kindern denn nur in der Wohnung sitzen oder in geheizten Hallen Sport treiben – Kinder müssen doch raus, an die frische Luft, Ski fahren …
So geht das, Tag für Tag, ein immerwährendes Selbstgespräch.
Wobei es oft auch Unterhaltungen mit Nachbarn, Kollegen, Leuten auf der Straße sind. Da wäre die Frau, die mich hasserfüllt anstarrt, während ich mit meinem Auto aus der Garage fahre, und die absichtlich hart am Wegesrand so stehen bleibt, dass ich die Scheibeherunterlasse und frage, ob sie noch ein bisschen mehr zur Seite gehen könne, es werde sonst zu eng – und sie faucht: »Ja, so ein großes Auto, das braucht natürlich Platz …« Oder der Nachbar meiner Freunde, der nahezu jede Woche Beschwerdebriefe in deren Briefkasten wirft, kurze und stets äußerst unfreundliche Aktennotizen von dieser Art: Schon wieder habe er in der Biomülltonne alte Brez’n entdeckt, die dort nicht hingehören – und die Aluminiumschälchen von Teelichtern schon gar nicht.
Übrigens ist das ein in der psychologischen Forschung gut bekanntes Phänomen: Menschen, die sich selbst in bestimmten Bereichen für integer, verantwortungsbewusst und sozial eingestellt halten, neigen zu moralischen Ausrastern auf anderen Gebieten. Das amerikanische Fachmagazin Psychological Science veröffentlichte 2010 eine Studie der Universität Toronto, wonach Käufer von Bio-Lebensmitteln nach dem Einkauf andere Menschen schlechter behandelten als die Käufer konventioneller Nahrungsmittel – ein Ergebnis, das nicht gegen Bio-Food spricht, aber sehr schön zeigt, wie Menschen eben sind: kaum jemals durchgehend gut.
Frank, der Racheengel, treibt mich bisweilen zu fast pubertären Sabotageakten. Eines Tages fuhr ich mit meiner Frau vierzehn Kilometer weit in ein schönes Restaurant mit Blick über die Elbe – nicht mit dem Bus, nicht per Anhalter, sondern mit dem eigenen Auto. Im Amuse-Gueule waren Krabben, und ich dachte darüber nach, dass die armen Dinger vermutlich von Büsum nach Marokko transportiert, dort gepultund wieder nach Deutschland zurückgeschickt worden waren. Aber da hatte ich auch schon einen neuseeländischen Cabernet Sauvignon bestellt, der ganz sicher noch viel länger unterwegs gewesen war. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als stünde er vor mir: Frank, jener Kollege, der tags zuvor in der Konferenz dafür plädiert hatte, genau diesen energieverschwenderischen Unsinn zu unterlassen. Und alle anderen hatten zustimmend genickt. Frank lebt in einem Ökohaus und fährt sogar bei sehr nassem und windigem Hamburger Wetter mit dem Rad in die Redaktion. Auf diesen Schreck nahm ich erst mal einen kräftigen Schluck.
Verbirgt sich hinter all den Gewissensqualen und der Aufforderung, das private Leben radikal zu ändern, nicht auch ein unreflektiertes Allmachtsdenken? Ich bin es, der die Welt retten kann mit seinem Verhalten. Treten da nicht bisweilen Eigenschaften zutage, die mir noch mehr zuwider sind als jeder Klimawandel? Die moralisch korrekte Version des Neides, zum Beispiel. Besserwisserei. Blockwartverhalten. Das Fehlen jeglicher Lebensfreude. Dogmatismus. Spießertum, das will, dass alle so leben wie man selbst. Selbstgewissheit. Eine Neigung zum Inquisitorischen.
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