Wofür stehst Du?
um und sah gerade noch Mutter in einer Hofeinfahrt verschwinden.
Sie hatte Angst um mich gehabt, und sie versuchte, irgendwie dieser Angst Herr zu werden. Und hat sie es nicht ganz gut gemacht?
Wir haben, was Kindererziehung angeht, einen gewaltigen Bruch hinter uns, eine Ära des Zweifelns und Infragestellens. Für uns galt immer: Was die Eltern gemacht haben, ist für uns in gleicher Weise nicht denkbar. Also setzten wir uns mit allen möglichen pädagogischen Theorien und Praktiken auseinander, von antiautoritärer Erziehung über die Waldorf-Pädagogik bis zu Montessori. Damit nicht genug, verläuft unser Erwachsenenleben ja auch in ganz anderen Bahnen als das der Generationen vor uns: Für uns ist es keineswegs einfach denkbar, dass unsere Frauen den Haushalt und die Kindererziehung erledigen, während wir Männer das Geld verdienen, ja, wir leben oft in Situationen, in denen beide Elternteile arbeiten wollen und/oder müssen, damit das Geld reicht. Das heißt, wir müssen uns auch mit anderen Formen staatlicher Erziehung auseinandersetzen als früher – und ganz nebenbei müssen die Eltern miteinander ständig neue Rollenverteilungen aushandeln und sich fragen, ob ihren Kindern das eigentlich guttut oder nicht.
Das alles zusammengenommen macht uns zu bisweilen sehr unsicheren Eltern.
Ich finde es irritierend, dass Kinder in den vergangenen Jahren in Buch- und Zeitschriftentiteln immer wieder als bedrohliche »Tyrannen« wahrgenommen worden sind, die es mit Disziplin, Strenge, Autorität zu bändigen gilt. Sagt das nicht sehr viel mehr über die Eltern aus als über die Kinder, über ihre Sehnsucht nach Klarheit und nach Freiheit von einer alles beherrschenden Angst?
Anfang der Neunzigerjahre schrieb ich das Buch Der kleine Erziehungsberater . Oft habe ich mich gefragt, was eigentlich die Ursache seines Erfolgs war, denn der schmale Band bietet dem Leser nicht die geringste Beratung, der Titel ist rein ironisch gemeint und das ganze Buch das Werk eines Ratlosen. Es besteht aus lauter Geschichten über das Leben einer Familie mit drei kleinen Kindern. In diesen Geschichten sind es immer die Eltern, die an der Erziehung der Kinder scheitern, ja, oft ist es eher so, dass die Kinder die Eltern erziehen oder dass die Eltern zumindest von der guten Laune, der Empfindsamkeit und der großen Fantasie der Kinder profitieren.
Ich schrieb das Buch in dem Gefühl, ich würde den Lesern etwas Besonderes erzählen: Erlebnisse aus einer besonders chaotischen, zur Erziehung der Kinder besonders unfähigen, in ihren Strukturen besonders wenig gefestigten Familie.
Dann bekam ich sehr viele Leserbriefe. In allen Briefen stand das Gleiche: Das ist bei Ihnen ja wie bei uns daheim, erstaunlich, erstaunlich, wir dachten immer, nur wir wären so. Und ich lernte aus dieser Post: Wir sind ja gar nicht besonders, wir sind im Prinzip wie alle anderen. Dashat mich (so seltsam das klingen mag, wenn ein Autor etwas von seinen Lesern lernt) gelassener gemacht, eine Eigenschaft, die Eltern grundsätzlich gut brauchen können.
Ich begriff damals erst nach dem Erscheinen meines Buches, unter welchem Druck heute viele Eltern stehen. Umstellt von Ratgebern aller Art, möchten sie alles immer richtig machen, müssen aber feststellen, dass sie mit den papierenen, besserwisserischen Ratschlägen aus allen möglichen Büchern am Leben scheitern, und fühlen sich entsprechend: als Versager. Ihre Kinder schlafen nicht so gut, wie sie dem Handbuch Jedes Kind kann schlafen zufolge schlafen müssten; sie essen nicht mal ansatzweise so gerne Gemüse, wie Kinder laut dem Bio-Kochbuch für unsere Kleinen Gemüse gerne essen müssten; sie lassen das pädagogisch wertvolle Spielzeug, nach dem sie sich doch gemäß den Tipps der Verkäuferin im anthroposophischen Spielzeugladen geradezu verzehren sollten, einfach in der Ecke verstauben.
Hier ist, was ich aus meinem eigenen Buch gelernt habe: dass man mit Ratgebern sein Leben nicht gestalten kann. Im Gegenteil. Sie führen einen in die Irre, machen Eltern noch unsicherer, als sie ohnehin schon sind, und kosten nur Zeit und Geld.
Noch nie in der Menschheitsgeschichte haben sich Mütter und auch Väter so viele Gedanken gemacht, so viel Rücksicht genommen, so viele gute Absichten gehabt wie die meisten Eltern heute.
Es fängt mit dem Tag der Geburt an. Ich kenne keinen einzigen Mann, der in den vergangenen zehn JahrenVater geworden ist, der nicht bei der Entbindung dabei gewesen wäre, es wird auch von
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