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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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brachten mich zum Arzt,dabei hatte ich bloß meinen eigenen, schmerzvollen Weg gefunden, ihnen auch ein bisschen Sorgen zu machen.
    Kinder kämpfen, manchmal ein Leben lang, um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, und ich glaube, die primäre Aufgabe der Eltern ist, ihnen diese Aufmerksamkeit auch zu geben, möglichst schon ohne den Kampf.
    Ich glaube nicht, dass Eltern die besseren Pädagogen sein sollten. Ich glaube nicht, dass sie sich ständig den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob sie etwas »falsch« machen. Ich glaube überhaupt nicht, dass sie nach irgendeinem Schema vorgehen sollten.
    Aber ich glaube, dass eine stabile, liebe- und vertrauensvolle, von Neugierde und Austausch geprägte Beziehung zwischen Eltern und Kindern sehr gut den einen oder anderen Erziehungsfehler verträgt.
    Für uns als Kinder gehörten Schläge zum Alltagsleben, jedoch nie als systematisch-züchtigende, absichtsvoll-erzieherische Prügelei (wie sie anscheinend von manchen früheren Bischöfen praktiziert wurde). Meine Mutter hat mich einige Male mit dem Handfeger oder einem Teppichklopfer verdroschen, und ich werde nie vergessen, wie sie – aus Anlässen, an die ich mich nicht mehr erinnere – wie eine Furie hinter mir herrannte, während ich um Gnade bettelte. Ihre Schläge trafen mich hart, und die einzige Entschuldigung, die es für sie gibt, war ihre totale Überforderung nach der eigenen schwierigen Kindheit, mit einem kriegsverletzten Mann und drei Söhnen, von denen einer, noch als Baby, immer wieder schwere Operationen über sich ergehen lassen musste.
    Mein Vater schlug mich nie, wie er mich überhaupt nie berührte. Er drohte immer nur mit Schlägen, malte aus, was er alles tun würde, und erzählte dabei, wie er selbst als Kind verprügelt worden sei. Oft und oft erzählte er das, nicht von seinem Vater, sondern von den unglaublichen Gewaltorgien in seiner Schulzeit, in der die Kinder von den Lehrern systematisch mit dem Rohrstock gezüchtigt worden waren. Und wie weh das getan habe, erzählte er.
    Seltsamerweise spielte dabei immer ein Lächeln um seinen Mund: Dann kam das Echo aus dem Mund meiner Mutter: »Hat uns auch nicht geschadet.«
    Und ich selbst, als Vater?
    Wohl jedes meiner Kinder hat einmal eine Ohrfeige bekommen, nie geplant, sondern immer aus dem Affekt – was es nicht besser macht. Natürlich habe ich das hinterher immer bereut, was es auch nicht besser macht. Es gehört zu meinen Fehlern als Vater.
    Ich habe Schläge noch als integralen Bestandteil der Erziehung kennengelernt, vor allem in der Familie. Es gab Ohrfeigen von meinem Vater, von meiner Mutter, von dem sehr jungen (und heiß geliebten) Kindermädchen. Es gab Schläge mit dem Teppichklopfer und einem zusammengerollten feuchten Handtuch. Zweimal wurde ich im kohlenschwarzen Keller eingesperrt, meine Mutter behauptet, für wenige Minuten, für mich fühlten sie sich wie Stunden an. Den Eltern ist das heute peinlich, meine Mutter war damals schon Lehrerin, später wurde sie Psychotherapeutin. Aber sie sagen auch:Wir waren jung und unerfahren, es war damals so üblich, in unserer eigenen Kindheit war das noch viel dramatischer.
    Giorgio, der ältere Bruder meines Vaters, erzählt heute noch voller Opferstolz, wie er als Zwölfjähriger die Limousine seines Vaters in der Dunkelheit aus der Einfahrt schob, den Wagen außer Hörweite kurzschloss und dann zur Mole von Rimini fuhr, wo andere Halbstarke ohne Führerschein mit ihren Fahrkünsten prahlten. Als Giorgio in der Nacht nach Hause kam und leise die Haustür öffnete, ging plötzlich das Licht im Flur an. Auf dem obersten Treppenabsatz vor der elterlichen Wohnung stand mein Großvater. Er hatte sein Jagdgewehr angelegt und zielte auf seinen Sohn.
    An dieser Stelle der Erzählung lacht dann die Familie. Denn längst weiß man, dass mein Opa natürlich nicht geschossen hat und seinem Sohn nur einen gewaltigen Schrecken einjagen wollte und bei der Wahl der Mittel eben nicht so wahnsinnig zartfühlend war, wie das bei den leicht aufbrausenden, aber im Prinzip gutherzigen Männern aus der Romagna seit jeher üblich ist. Hat nicht sogar Federico Fellini, der große Sohn Riminis, diesen Vätern vor allem in seinem autobiografischen Welterfolg Amarcord ein filmisches Denkmal gesetzt? Schnell steht dann die Frage im Raum, manchmal auch unausgesprochen: Und? Haben uns Schläge und Strafen denn wirklich so geschadet?
    Das ärgert mich sehr, denn fast jede Züchtigung ist mir heute noch erinnerlich. Es gibt

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