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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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hatte und mein Großvater zum dritten Mal geheiratet hatte, ging seine neue Frau auf meine Mutter zu und sorgte für Kontakt. Einige Jahre lang gab es reges Sichbesuchen, immer wieder waren wir im Haus des Großvaters. Dann starb er, und alles war vorbei. Nach seinem Tod stellte sich heraus, so erzählte meine Mutter, dass er sie von seinem Erbe weitgehend ausgeschlossen hatte.
    Das alles erfuhr ich nun, mit vierzig Jahren. Erst die Dramatik der Situation, eine Art emotionaler Enthemmung, hatte meine Mutter zum Reden gebracht, mit fast siebzig Jahren. Erst jetzt verschwand der Nebel über ihrem Leben, in dem ich bisher nur vage Onkels, Tanten, Cousinen und Cousins gesehen hatte (die ich oft sehr gerne mochte, deren Zusammenhang mit uns mir aber nie recht klar geworden war) – und einen Großvater, der immer ein mir ferner, entrückter Mann blieb. Erst jetzt konnte ich überhaupt beginnen, sie zu verstehen, ihre Angst bisweilen, ihre Nervosität, ihre Einsamkeit, ihre ungestillte Sehnsucht nach einer Tochter, in der sie sich wiedergefunden hätte. Sie hatte stattdessen drei Söhne.
    Und erst jetzt, aus der Ferne und vor den Bruchstücken meiner eigenen Träume, bekam ich, langsam, langsam, einen klareren Blick auf meine Eltern.
    Auf die Mutter, die ihren Vater kaum gekannt hatte, und deren Mann – traumatisiert vom Krieg – in seinem Sessel sitzend weit entfernt von ihr war. Die deshalb ein Leben lang nach Nähe suchte und sie doch nicht ertragen konnte.
    Auf den Vater mit dem toten Auge im Gesicht, das ich so gerne zum Leben erweckt hätte.
    Sie waren meine Eltern, sie hatten ihr Schicksal, sie waren schuldlos. Aber sie waren sicher nicht die besten Vorbilder für erfüllte, lebendige Beziehungen.
    Meine Frau und ich sind späte Eltern. Bevor unsere Tochter zur Welt kam, waren wir jahrelang gut gemeinten, aber in ihrer Wirkung penetranten, ja quälenden Fragen beseelter Mütter und Väter ausgesetzt: »Was, Sie haben keine Kinder – warum nicht? Wollen Sie etwa keine?« Und noch vor der Antwort folgte ein Lobgesang auf den Kindersegen, in den sich herablassendes Mitgefühl für uns Kinderlose mischte, denen solche Wonnen vorenthalten bleiben würden. Als könne der Verzicht nicht auch eine sehr bewusste und respektable Lebensentscheidung sein. Als könne die Kinderlosigkeit vieler Paare nicht auch in der Indisposition eines Partners begründet sein, die so sehr schmerzt, dass man darüber bestimmt nicht mit dem Tischnachbarn bei einem gesetzten Essen reden möchte.
    Immerhin hatten wir viel Zeit, die Fehler der anderen zu beobachten. Wenig kam uns so lächerlich vor wie die hysterische Angst einiger Mütter auch in unserem Freundeskreis, dem armen Kind könnte etwas zustoßen. In deren Augen droht überall nur Gefahr, von der Zimmertemperatur in der Nacht oder der Kunststoffbeschichtung im Fläschchen oder der Erzieherin in der Kita, weil sie einmal die Geduld verloren hat und laut geworden ist. Wenn das Kind einmal vergnügt einen Schluck vom Rotwein probiert, den der Vater gerade trinkt, was in Italien in jeder Familie vorkommt, dann ist bereits die böse Saat für das spätere Abgleiten in den Alkoholismus geworfen. Und dazu dieses ununterbrochene Bespaßen und Bespielen der süßen Kleinen, auf dass sie später zu Winterhoff’schen Tyrannen werden, unfähig, sich auch nur eine Viertelstunde selbst zu beschäftigen.
    Dann machten wir Ferien in den bayerischen Bergen, unsere Tochter war zwei Jahre alt. Das Hotel bot für müde Eltern einen großartigen Service: Für die Zeit, in der sie mal ungestört wandern oder am Pool liegen wollten, konnten sie stundenweise einen Babysitter engagieren. Wer ganz beruhigt im Hotel zu Abend essen wollte, bekam an der Rezeption hochsensible Babyfone ausgehändigt; sie reagierten schon auf lautes Gähnen. Ich wähnte mich bestens aufgehoben.
    Aber am zweiten Abend, als wir das Kind nach stundenlangem Spiel gerade ins Bett gebracht hatten, klingelte es an unserer Zimmertür. Es meldete sich eine junge Rezeptionistin zum Babysitten. Ich hatte sie nicht gebucht und glaubte an ein Missverständnis.Schon war meine Frau zur Stelle, sie hatte das Mädchen bestellt. Um nicht vor der Babysitterin zu streiten, wartete ich noch ein paar Minuten, bis wir auf dem Weg zum Restaurant waren. Meine Frau erklärte:
    »So fühle ich mich sicherer.«
    »Aber wir haben doch die Babyfone, und wenn dir das nicht reicht, hätte ich auch nach jedem Gang nach der Kleinen geschaut!«
    »Ja, aber das ist

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