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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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erinnern kann, ist, dass Antje und ich uns einfach minutenlang in den Arm genommen haben, ohne etwas zu sagen. Als ich aus dem Zimmer ging, stand sie plötzlich sichtlich bewegt vor mir. Das zweite Ärzteteam hatte ihr gerade eröffnet, wie schwer es
Tino getroffen hatte. Sie fragte mich nur, wie es Stefan geht. Ich habe ihr gesagt, dass beide Beine weg sind oberhalb der Knie. Ich sah, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Für Antje war das nach Tino ein zusätzlicher Tiefschlag. Wir haben einfach nur geweint.«
     
    Mir erging es nicht besser als Vio – auch bei mir hatten die Ärzte Klartext geredet. Wir saßen alle an einem dieser weißen Konferenztische. Eine Neonlampe flackerte. Im Raum waren Tinos Eltern, seine Schwester Heike und acht Kameraden der Feldjäger. Die drei Ärzte saßen uns gegenüber und haben dann erst mal gefragt, ob auch die Kameraden im Raum bleiben dürften. Und da habe ich spontan mit Blick auf Mario gesagt: »Ja sicher – die wollen genauso wie wir wissen, was genau los ist mit Tino!« Das waren Tinos Kameraden, seine Freunde, die uns den ganzen Tag über begleitet und wo es nur ging unterstützt hatten. Ich saß neben Heike, Tinos Schwester, und Mario, unser bester Freund, stand hinter mir und hat mir seine Hand auf die Schulter gelegt. Wir haben uns alle an den Händen gehalten, um auf alles gefasst zu sein. Die beiden Ärzte entschuldigten sich, dass sie erst so spät zu uns kommen konnten – aber die kritische Lage der Patienten habe die komplette Zeit erfordert.
    Die Ärzte sagten, dass Tino der leichter Verletzte von den beiden sei. Die Erleichterung blieb mir gleich im nächsten Moment im Hals stecken – denn es bedeutete, dass Stefan noch schwerer verletzt war als Tino. Und schon bei Tino sah es nicht gut aus. Sie sagten, dass es nicht gut stehe um Tinos Unterschenkel. Dass sie nicht wüssten, ob sie das Bein retten könnten. Im Raum war es still. Alle waren geschockt. Der Arzt sagte, wir könnten froh sein, dass es nur der Unterschenkel sei – bei Stefan habe man beide Beine amputieren müssen. Ich habe das erst gar nicht verstanden, ich war noch ganz bei
Tino und dachte: »Tino behindert. Unterschenkel amputiert. Wie wird er damit fertig? Wie soll unsere Zukunft aussehen?« Auch bei Mario spürte ich, wie sich seine Hand auf meiner Schulter verkrampfte. Mario erzählte später, dass er wie gelähmt war, als er gehört hat, dass Tinos Unterschenkel vielleicht amputiert werden müsste.
    Die Ärzte schilderten den dramatischen Flug, wie es permanent den Anschein hatte, als würde beide die Kraft verlassen. Ein Arzt sagte, wenn die Verletzten nicht so fit und durchtrainiert gewesen wären, hätten sie nicht genügend Reserven gehabt, diese Strapazen durchzuhalten. Beide hätten zunächst das Schlimmste überstanden, sie seien stabil, und jetzt helfe nur noch Abwarten und genaues Beobachten, wie sich ihr Zustand in den nächsten 76 Stunden weiter entwickeln würde. Es werde noch kritische Situationen geben.
    Die Ärzte erklärten, dass sie alles tun würden, um Tinos Bein zu retten, dass sie versucht hätten, Bypässe zu legen, um die abgetrennten Adern zu ersetzen, dass sie sein Bein hatten aufschneiden müssen, um Schwellungen zu entlasten und die Durchblutung aufrechtzuerhalten. Man habe Tino in ein künstliches Koma versetzt, weil sich im rechten Fuß eine schwere Vergiftung abzeichne und man die Giftstoffe durch Bewegung oder Aufregung nicht zusätzlich im Körper verteilen wolle.
    Erst jetzt wurde uns klar, was die beiden durchgemacht haben mussten. Wie würde unsere Zukunft aussehen? Wie aus einem Nebel erreichten mich die weiteren Schilderungen der Ärzte, die uns klarmachten, dass es für beide weiter um Leben und Tod gehen würde. Ich war sicher, wenn Tino hier ist, in einem der besten deutschen Krankenhäuser mit deutschen Ärzten und raus aus Afghanistan, dann überlebt er, egal wie. Das war alles, was ich in diesem Moment denken konnte.
    Tinos Mutter war während des Gesprächs ganz still und aufmerksam.
Sie stellte keine Fragen. Für sie stand in diesem Moment nur im Vordergrund, dass Tino noch am Leben war: »Ich habe nur gedacht: Er lebt! Erst mal ganz egal, wie. Er lebt! Wir haben immer gehofft, dass es nicht so schlimm ist. Dann denkt man nach vorne, was wird werden, wie geht’s weiter? Die Fahrt nach Koblenz war eine Fahrt ins Ungewisse gewesen. Wir wussten nicht, was uns erwartete. Mit Tino hätte alles geschehen sein können. Kopfverletzungen. Verlust

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