Wofuer wir kaempfen
fassen konnte. Später hat er mir gesagt, dass er hin- und hergerissen war zwischen seiner Zuneigung und dem Bewusstsein, dass wir uns drei Tage später wieder trennen müssten für mehrere Monate. Diese Gedanken standen zwischen uns. Wir wussten nicht, wohin die Zeit unsere Liebe treiben würde. Aber wir wollten uns. An einem heißen Tag sind wir dann an den Eibsee unterhalb der Zugspitze gewandert, dort hat es sich endgültig entschieden, dass wir ein Paar werden. Es gibt noch ein wunderbares Foto von uns. Wir
stehen am Rand dieses Märchensees ein bisschen verschwitzt vom Wandern, engumschlungen und wir schauen sehr, sehr glücklich in die Kamera. Auch die anderen Tage waren wir draußen in der Natur, wandern, mountainbiken und schwimmen im Staffelsee – bei Föhn spiegeln sich die Berge so klar auf seiner Oberfläche, dass man förmlich in sie hineinschwimmt. Es war ein bisschen wie Fliegen, und das Glücksgefühl, das dabei entsteht, war herrlich. Alles war noch so neu und so verwirrend fremd. Nach diesen Tagen in der bayerischen Natur war ich endgültig über beide Ohren verknallt. Hier hatten sich zwei Wege gekreuzt, und wir waren entschlossen, unseren Weg künftig gemeinsam zu gehen – auch wenn wir in diesem Moment noch gar nicht abschätzen konnten, was das noch bedeuten sollte. Meine quälenden Zweifel, ob es Tino ernst war mit unserer Beziehung, waren fort. Und wurden ersetzt durch Verlustangst: Wenn das nun der Mann war, mit dem ich zukünftig zusammenleben wollte, wie sollte ich es schaffen, dieses Feuer über ein halbes Jahr am Lodern zu halten? Was, wenn meine Mutter doch mit ihren Warnungen recht hätte, dass eine Soldatenliebe eine so lange Trennung nicht aushalten würde? Auf Einsätzen kann viel geschehen. Viele Soldaten kommen sehr verändert wieder. Nicht jeder wird mit der Situation fertig. Was würde der Einsatz bei mir verändern? Wie würde er Tino verändern? Es war eine ganze Reihe von Fragen, mit denen ich mich im Schlaf herumwälzte. Ich wusste noch zu wenig über Tino Käßner. Dafür hatten die paar Tage nicht ausgereicht. Ich hatte mich aber entschieden, mehr herauszufinden. Ich beschloss, meine Gefühle einzukapseln und zu schützen. Die Glut zu bewahren, aber das Feuer nicht sinnlos lodern zu lassen. Und mit diesem Gefühl bin ich nach Bosnien geflogen.
Das Feldlager Rajlovac – Antje in Bosnien
Meine Ankunft in Sarajevo schien so unwirklich. Die Spuren des Bürgerkriegs in Bosnien und Herzegowina, der das Land seit 1992 binnen gut drei Jahren verwüstet hatte, waren noch an allen Ecken sichtbar. Überall war der Tod und die Angst der Menschen gegenwärtig, die hier gelitten hatten. Bis zu 278 000 Tote und Vermisste und über zwei Millionen Flüchtlinge und Vertriebene weisen die offiziellen Statistiken aus. In einem Konvoi ging es vom Flughafen mitten durch die Stadt in das zwölf Kilometer nordwestlich des Zentrums gelegene Feldlager Rajlovac, das Hauptquartier des 1. Deutschen SFOR-Kontingents. Aus dem Osten kannte ich ja noch genügend verfallene Häuser, Industriebrachen. Aber was ich in Sarajevo sah, war etwas ganz anderes: Das waren Kriegsruinen. Und das Beklemmende: Nicht nur ein Haus, nein, ganze Straßenzüge, Stadtviertel – eine ganze Stadt, zerschossen, ausgebrannt und geplündert. Vier Jahre lang, vom 5. April 1992 bis zum 29. Februar 1996, war Sarajevo von den Serben belagert worden – militärgeschichtlich mit 1425 Tagen die längste Belagerung im 20. Jahrhundert. 1993 waren nach offizieller Zählung 35 000 Gebäude der Stadt völlig zerstört und kein einziges mehr ohne Beschädigung, darunter die weltberühmte Nationalbibliothek mit ihren unersetzlichen Handschriften und Büchern.
Während der Belagerung schossen die bosnischen Freischärler und Serben von den umliegenden Hügeln täglich über 300 Granaten auf Sarajevo ab. Die Bevölkerung war außer in den Kellern der Häuser nirgends sicher. In den leeren Fensterhöhlen sah ich bei unserer Fahrt zum Feldlager überall Rußspuren, wo das Feuer aus den Fenstern geschlagen hatte. Ganze Häuserzeilen
waren abgebrannt, weil im Kugelhagel niemand zu löschen wagte. An der breiten Hauptverkehrsstraße Zmaja od Bosne die von MGs und Granatensplittern regelrecht durchsiebten Hochhäuser, einst der Stolz der Stadt und Symbol für den Aufbruch in eine moderne Zeit. Wie skelettierte Finger ragten sie in den Himmel, etagenweise reduziert bis auf ihre Betonträger, weil sämtliche Zwischenwände herausgeschossen
Weitere Kostenlose Bücher