Wofuer wir kaempfen
für den Frieden – ihr Leben. Bei den Einsätzen der Bundeswehr auf dem Balkan sind seit Mitte der Neunzigerjahre mehr als 40 Bundeswehrsoldaten ums Leben gekommen. Die meisten von ihnen nicht durch direkte Kampfhandlungen, sondern durch Munitions- oder Verkehrsunfälle. Den Frieden sichern, genau das sollte die SFOR leisten. Das war unser Auftrag. Das wurde auch von der Bevölkerung so wahrgenommen – die war wirklich dankbar. Wir hatten viele
einheimische Arbeitskräfte im Lager, mit denen wir uns unterhalten konnten. Es war beklemmend zu hören, was sie alles hinter sich hatten. Das waren nicht mehr die anonymen, ausgemergelten Gesichter der Flüchtlingskonvois aus den Nachrichten, sondern ordentlich gekleidete, gebildete Menschen, die versuchten, ihr Leben neu zu organisieren. Ihre Familien lebten mit zehn bis zwölf Personen in notdürftig wieder bewohnbar gemachten Wohnungen. Ohne ausreichend Nahrung, im Winter oft gänzlich ohne Heizung. Plötzlich waren sie wieder da, die Erzählungen, wie es bei uns war nach dem Krieg in den zerbombten Städten. Das war ja alles so weit weg für uns. Das hier war ganz nah. Diese Menschen habe ich sehr respektiert. Denn trotz allem, was sie durchgemacht hatten, trotz ihrer großen Armut haben sie ihre Würde behalten. Dieser Stolz und dieser Trotz dem eigenen Elend und Erlebten gegenüber hat mich tief beeindruckt. Mir wurde auf einen Schlag klar, in welchem Luxus wir in Deutschland leben. So ein Krieg, das schwor ich mir, darf sich bei uns nicht wiederholen. Nie möchte ich meine schöne kleine Welt in Deutschland so zerschossen sehen wie damals Sarajevo. Nie dürfen Nachbarn zu Feinden werden.
Zehntausende dieser Flüchtenden hatten mit Beginn des Bürgerkriegs bei uns in Deutschland Unterschlupf gefunden. Die Menschen kehrten nur langsam aus Deutschland zurück. Die Arbeitslosenrate lag bei über 60 Prozent. Die Menschen, die zurück wollten oder auf Druck der Bundesregierung zurück mussten, würden nur gehen, wenn sie in ihrem Land eine Zukunft finden könnten fern von Hunger und Todesangst. Mein Bundeswehreinsatz bekam plötzlich eine ganz andere Dimension. War es vorher einfach nur ein Auftrag, der zu erfüllen war, so hatte das Wort Friedenssicherung für mich jetzt eine viel weitere, tiefere Bedeutung. Ich war überzeugt, dass ich das Richtige tat. Der ganze Frust aus dem Bonner Sanitätsdienst
war mit einem Schlag wie weggeblasen. Wir waren alle hoch motiviert, etwas Gutes in das Land zu bringen. Ich war jetzt Teil der SFOR und stolz darauf. Ich kam, um zu helfen – und zum ersten Mal war mir wirklich klar geworden, wofür wir eigentlich in der Bundeswehr kämpfen.
Schlafmangel
Nach der ersten Begeisterung kam die Ernüchterung. Mein Schlafzimmer mit breitem, weichem Bett hatte ich gegen eine harte Pritsche in einem Baucontainer eingetauscht, den ich mit einer Kameradin teilte. Nachts trennten mich zwei Millimeter Stahlblech und ein bisschen Glasfaserdämmung von der Lagerstraße und dem Landeplatz der Helikopter für die Notaufnahme. Das Wummern und Flappen der Rotorenblätter war mein Einschlaflied. Dazu aufheulende Motoren beim Starten der Jeeps, Türenschlagen, Klingeltöne einsamer Handys, Befehle, Flüche, harte Stiefelabsätze auf dem Pflaster – das Wort Ruhe hatte ich bald vergessen. Bei uns im Lager war immer Lärm. Das Camp schlief nie, gearbeitet wurde in drei Schichten 24 Stunden am Tag.
Die ständige Verfügbarkeit. Und immer wieder Alarm. Noch immer gab es viele Minenopfer, die meisten Hirten oder Bauern, die bei uns im Krankenhaus des Camps versorgt wurden. Wenn ein Notfall kommt, wird das ganze Lazarett mit allen Fachbereichen alarmiert. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Häufig weiß man erst, wenn der Helikopter gelandet ist, mit welchen Verletzungen man es zu tun hat, wie viele Verletzte zu versorgen sind und was operiert werden muss. Da steht dann das komplette OP-Team bereit. Tage, die ruhiger verliefen, wirkten beinahe schon unheimlich. Man dachte: Das kann doch gar nicht sein, dass es plötzlich so ruhig ist – was ist da los?
Schon nach wenigen Tagen stand ich allein durch den Schlafentzug wie unter Drogen. Ich war ständig müde, dasselbe Gefühl der Trance, das ich aus meiner Grundausbildung kannte. Jede freie Minute nutzten die Soldaten, um sich irgendwo ein bisschen Schlaf zurückzuholen. Es reichte nie. Man nutzte jede sich bietende Gelegenheit dafür, sich irgendwo anlehnen oder wenn möglich ablegen zu können, und
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