Wofuer wir kaempfen
bewaffnet. Meine Langwaffe war mit einem Spanngurt am Fahrersitz festgemacht. Wir waren mit Waffen und Munition vollgepackt bis an die Halskrause. In der schusssicheren Weste steckten neben der P7-Pistole als Backupwaffe und Magazinen noch Funkgerät und Fotoapparat, Ersatzmagazine für die Pistole, Verbandspäckchen und Morphium für die Erstversorgung.
Unsere Autos waren sehr gut durchdacht auf alle Eventualitäten hin ausgerüstet. Wir waren Personenschützer und dafür ausgebildet, ohne Nachzudenken unser eigenes Leben für die Sicherheit der zu schützenden Person einzusetzen. Jeder Gedanke an das, was alles sein kann und passieren könnte, wurde ausgeblendet. Natürlich hatte jeder auch eine Verantwortung für das Team und für sich selbst. Aber der VIP hatte absolute Priorität, ihn galt es zuerst zu retten.
Sehr beliebt als Sprengfallen waren damals Gasflaschen, vor denen in jeder Morgenbesprechung in Camp Warehouse erneut gewarnt wurde. Kabul hatte keine zentrale Gasversorgung und jeder Haushalt betrieb seinen Herd mit Gasflaschen. Sie gehörten zum Straßenbild wie Coffee-To-Go-Becher morgens in der U-Bahn. Alle paar Meter stand eine Gasflasche an
der Straße, wurden Gasflaschen von Transportern be- und entladen. Und jede hätte eine tödliche Bombe sein können. Mit der Zeit bekam man als Personenschützer ein Auge dafür, was eine harmlose und was eine verdächtige Gasflasche war. Bei harmlosen Gasflaschen waren immer Afghanen in direkter Nähe, die sich unterhielten, die umluden, kurz: Betriebsamkeit. Bei verdächtigen Gasflaschen war niemand zu sehen. Entweder Zufall, oder die Einheimischen waren vor einer geplanten Explosion schon in Deckung gegangen. Solche Situationen musste der Pointer aufklären. Wir sind dann nicht etwa ausgestiegen und haben die Flasche untersucht. Unsere Funktion war eine andere: Eine mobile Mauer zu bilden und den VIP mit unserem Auto vor der Explosionswirkung abzuschirmen. Deshalb schob sich unser Pointerfahrzeug vor die Gasflasche, während das VIP-Fahrzeug neben uns die Gefahrenstelle passierte.
Im Pointerfahrzeug ging es darum, in rasendem Tempo selbst kleinste Details am Straßenrand aufzunehmen, auf mögliche Gefahren zu scannen, zu analysieren und darauf zu reagieren: Da parkte ein verdächtiges Auto. Da stand eine Kiste vor dem Haus – da, weitere Gasflaschen; ein Esel trabte aus der Seitengasse. Herrenlos, mit einem Sack auf dem Rücken, in dem auch eine Bombe hätte versteckt sein können. Autos bremsten plötzlich ohne ersichtlichen Grund und blockierten die Straße. Jeder Stau konnte eine Falle sein: Dann galt es, blitzschnell einen Umweg zu suchen. Dynamisches und taktisches Fahren war angesagt, das bedeutete zum einen immer in Bewegung bleiben, und zum anderen wegen der chaotischen Verkehrssituation ständiges Abbremsen und Beschleunigen. Die Fahrzeuge hatten zwar Blaulicht auf dem Dach – aber das schaltete man nicht an. Kabul ist umgeben von Bergen. Drei Autos mit Blaulicht, vor allem nachts, waren deutlich auszumachen, jeder wüsste sofort, was Sache wäre. So fuhr man bestimmt
und dicht zum Vordermann auf mit viel Gehupe, ein bisschen Schieben mit der Stoßstange, dann merkten auch die harten Fälle, dass man es eilig hatte. Ansonsten versuchte man immer, unauffällig im Verkehr mitzuschwimmen.
Die Bundeswehr hatte es in den ersten Jahren gut verstanden, nicht als Besatzer, sondern kooperativ aufzutreten, Winken und Lächeln war die Vorgabe – das kam bei den Afghanen gut an. Unser Dolmetscher hat uns bei Gesprächen mit Einheimischen immer wieder bestätigt, das wir Deutschen ein sehr hohes Ansehen genießen.
Afghanistan war tägliches Überlebenstraining. Jeder war konzentriert. Es gab keine größere Motivation zum Lernen, Fehlervermeiden und zur sorgfältigen Planung als den Selbsterhaltungstrieb. Der chaotische Verkehr auf Kabuls Straßen war generell eine Gefahrenquelle. Und das bei Straßenverhältnissen, die in Deutschland jedem Motocrossrennen Ehre bereiten würden. Die grelle Sonne Kabuls, der Dreck auf der Scheibe und die permanent aufwirbelnden Staubwolken behinderten die Sicht und wie aus dem Nichts tauchten quer in der Fahrbahn stehende Eselskarren auf.
Zu diesem Chaos optischer Eindrücke kam noch der Lärmpegel der akustischen Reize. Das Gehupe, das Krachen, wenn der Gang geschaltet wurde, das Aufheulen des Motors, der das tonnenschwere Fahrzeug antrieb. Dazu der permanente Funkverkehr mit dem Kommandoführer über Kopfhörer. Das
Weitere Kostenlose Bücher