Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
Vom Netzwerk:
sich nach dem Erwachen aus dem Koma schnell orientiert zu haben schien und im Bewusstsein des Attentats und seiner Verletzung nicht sehr verwundert war, im Krankenhaus zu liegen, sah das bei Stefan ganz anders aus. In Stefans eigenen Worten ausgedrückt: »Als ich aufgewacht bin, hatte ich einen derartigen Schädel. Ich sah Bilder aus einem Wirrwarr aus Träumen, hörte ein Durcheinander aus Worten. Ich war noch in Afghanistan, hatte das Gefühl, ich würde beschossen, hörte Explosionen, MG-Feuer und Sirenen. Ich spüre Rettungskräfte, die mich irgendwo hinzerrten. Und plötzlich fasst mich auch noch irgendeine Frau an und will mich küssen. Und ich wehrte ab und schrie sie an: ›No kiss, I have a wife! Go away, I have a wife!‹ Dabei war es keine fremde Frau, sondern Vio, die später ganz angetan war von meinem Beweis unerschütterlicher Treue. Aber ich erkannte sie nur schemenhaft
und hatte keine Erklärung, woher sie so plötzlich in dieses Chaos nach Afghanistan gekommen war. Ich muss sie wohl angebrüllt haben: ›Was machst du hier? Vio, geh, du behinderst den Einsatz!‹ Ich hörte durch das Rauschen in meinen Ohren bruchstückhaft, immer wieder mal klar und dann gedämpft wie durch einen Teppich sagen: ›Stefan, du bist in Sicherheit. Tino liegt auch da!‹ ›Wieso Tino?‹, denke ich, ›der hat doch Dienst!‹ Langsam, ganz langsam kam ich aus diesem Nebel raus und lag in diesem strahlend weißen Zimmer, sah die Gesichter, nach denen ich mich gesehnt hatte, und wusste wirklich nicht, ob ich noch auf der Erde, in einem Traum oder ganz woanders bin.
    So war mein Erwachen aus dem Koma. In den Tagen danach habe ich nur vor mich hingedämmert. Ich war in ein Leben zurückgeworfen worden, das ich so nicht mehr haben wollte. Damals habe ich nur gedacht: Ich bin kein Mann mehr, ich bin kein Soldat mehr, ich bin kein Vater mehr – ich bin jetzt nur noch ein wertloser Krüppel. Ich konnte ja nicht einmal richtig sprechen, weil durch die lange künstliche Beatmung mein ganzer Hals und die Stimmbänder entzündet waren. Ich konnte nicht richtig hören durch das Knalltrauma. Mir hat alles wehgetan – allein schon wegen der Inkubation und der Herz-Lungen-Maschine – , zudem hatte ich Infektionen im Mund, über und über Herpespusteln, die wie Feuer brannten. Und wenn du da so liegst und denkst, das ist dein Leben, so wird es bleiben, nie wieder wirst du gehen, laufen ohne fremde Hilfe, immer den Maschinen ausgeliefert, eine Pfanne unterm Bett und eine Windel an, dann überfällt dich Verzweiflung. Ich sagte mir: ›Du bist nichts mehr wert. Was willst du noch hier? Mach dich vom Acker.‹ Weiterleben in diesem Zustand? Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht mehr leben. So gingen die Gedanken in einer endlosen Kette, die sich im Takt der fiependen Überwachungsgeräte zu einem unheilvollen Kanon vermischten.

    Ich steigerte mich da richtig rein, und irgendwann schlugen sich die Gedanken auf den Körper und seine Funktionen nieder. Ich hatte manchmal sogar das Gefühl, mit meinen Gedanken das Fiepen und Piepsen der Herz-Kreislauf-Anzeige verlangsamen zu können. Mir gingen so viele negative Gedanken durch den Kopf und ich hatte beschlossen, dass es besser sei zu sterben. Das war über Tage eine sehr kritische Phase, als mein Körper zwar noch leben wollte – aber mein Geist nicht mehr.«
     
    14 Tage nach dem Anschlag schwebte Stefan erneut in Lebensgefahr. Seine Abwehrkräfte waren nach den Strapazen des Transports und den vielen Operationen und Infektionen am Nullpunkt. Er war vollgepumpt mit Antibiotika und jederzeit hätte eine weitere Infektion seinen Körper endgültig aus dem Gleichgewicht werfen können. Stefan musste sich entscheiden: Zuversicht zum Leben finden oder möglicherweise der Tod. In dieser zutiefst krisenhaften Situation kann jede Kleinigkeit große Bedeutung bekommen und einen abrupten Richtungswechsel auslösen. So war es auch bei Stefan: »Als ich da so lag und vor mich hindämmerte in meinem ganzen Unglück, kam eines Morgens zur Krönung meines Unglücks der Militärgeistliche rein, im vollen Ornat und mit Kreuz. Ich war sicher, das war’s jetzt für mich – der spricht jetzt noch die letzten Sakramente, gibt mir die letzte Ölung, und dann geht’s dahin. Das hat geschmerzt, es war ein Abschiednehmen – ich war dabei, mich vom Leben abzuwenden und mich allem Weiteren zu ergeben. Ganz seltsam, irgendwie war es okay so. Ich reckte den Kopf nach vorne und erwartete, dass der Pfarrer

Weitere Kostenlose Bücher