Wofuer wir kaempfen
meine Stirn salben und den uralten Spruch der letzten Stunde aufsagen würde: ›Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes: Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf.‹
Doch es kam – nichts. Als ich mich gerade auf das Sterben und was danach kommt innerlich vorbereitet hatte und bereit war für den letzten Segen, musste ich feststellen, dass der Pfarrer nicht im Mindesten die Absicht hatte, mir die heiligen Sakramenten zu geben – stattdessen fing er an, mir allerlei lustige Geschichten zu erzählen und mir Mut zu machen, dass es wieder aufwärts geht: ›Kopf hoch‹ und ›Sie müssen nach vorne schauen!‹ Da kam es mir: Ich war offenbar dem Tod doch noch nicht so nah. Und so eigentümlich es klingt, in die Dunkelheit geschaut zu haben, weckte wieder meine Lebensgeister, denn wenn ich so lebendig war, dass die letzte Ölung gar nicht fällig war, dann konnte es auch nicht so schlecht um mich bestellt sein. Das war wenige Minuten, bevor meine eigentlichen Retter mich wieder zurück ins Leben holten. Und das waren meine Kinder.«
Kleine Rettungsengel am Krankenbett
Vio und ich – und auch Tino – haben damals deutlich gemerkt, dass sich bei Stefan etwas anbahnt. Wir sind so oft es ging zu ihm gegangen, haben ihn mit Kuchen gefüttert und versucht, ihn zu unterhalten. Aber er sprach nicht mit uns. Seine Augen waren glanzlos und leer. Wir wussten zunächst nicht, wie wir damit umgehen sollten. Stefan war schon immer ein sehr überlegter, zurückhaltender Mensch gewesen, der seine Gedanken und Gefühle nicht gerne vor sich hertrug. Aber dass er gar nicht sprechen wollte, sich abkapselte, das beunruhigte uns sehr. Man sah die Anstrengung in seinem Gesicht – aber auch das ganze Unglück und die Gedanken, wir spürten, dass er mit seinem Schicksal haderte. Für uns war das eine sehr deprimierende Erfahrung, mit einem Freund nicht reden zu können. Dazu kam seine unendliche Müdigkeit, unter der Tino ja auch gelitten hatte, – und natürlich die Notwendigkeit, erst mal mit
sich selbst ins Reine zu kommen, die Ereignisse zu verarbeiten und sich die Frage nach dem »Warum gerade ich? Was habe ich falsch gemacht?« zu beantworten.
Stefan war ein hundertprozentiger Soldat, pflichtbewusst und professionell bis in die Haarspitzen. Niemals ließ er sich einen Fehler durchgehen. Dass gerade er so einen Anschlag nicht hatte abwenden können, hat ihn sehr beschäftigt. Das Gefühl, möglicherweise versagt zu haben – als Soldat und als Kommandoführer. Immer die Kontrolle zu behalten, initiativ zu sein – die Lage zu analysieren, zu beherrschen und zielgerichtet zu handeln –, darauf waren sie als Personenschützer trainiert worden. Nicht aber auf einen heimtückischen Sprengstoffanschlag. All diese Gedanken waren zutiefst negativ. Diesmal waren es nicht die Verletzungen seines Körpers, sondern die Verletzungen seiner Seele, die heilen mussten.
Die Ärzte waren sich sicher: In den kommenden Stunden würde sich entscheiden, ob Stefan den Kampf in seinem Körper gewinnen oder verlieren würde. Sie überlegten, was ihn in dieser Situation noch überzeugen könnte, dass es sich lohnte zu leben, dass er noch gebraucht wurde und ein Ziel hatte, für das es sich zu kämpfen lohnte. Die Ärzte kamen zu dem Schluss: Es waren seine beiden Söhne Robin und Henry. In dieser kritischen Lage trafen die Ärzte nach langer Diskussion mit Vio eine mutige Entscheidung: Sie beschlossen, Vio solle ihre gemeinsamen Söhne zu ihm auf die Intensivstation bringen. Sie sollten Stefan den Impuls geben, seinen Lebenswillen wiederzufinden.
Der Zustand, in dem Stefan sich befand, war alles andere als schön, dazu die ganze Umgebung einer Intensivstation – würde das bei den Kindern einen Schock auslösen? Wie würden die Kinder auf ihren Vater reagieren? Könnte der geplante positive Effekt am Ende ins Gegenteil umschlagen? Vio wusste, dass sie nicht mehr viel Zeit haben würde, Stefan wieder Lebensmut zu
geben, und stimmte, wie sie mir sagte, zu, das Wagnis einzugehen: »Ich war mir völlig sicher, wenn hier jemand noch irgendwas richten und umkehren könnte, dann unsere Kinder. Es war der Oberarzt Braun in Koblenz, der das auch bald erkannt hatte. Er sagte zu mir: ›Ihr Mann hat nach dem Aufwachen aus dem künstlichen Koma kein Wort gesprochen – ich glaube, es geht ihm nicht gut. Was können wir tun? Er
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